Schwarzer Neckar
…«
Wieder nickte Edda. »Ein paar Tage, bevor die Franzosen kamen, ist er plötzlich wieder im Dorf aufgetaucht. Von seiner Einheit in Stuttgart desertiert, hat mir die Gerlinde später erzählt. Das hat sie aber auch erst von Frieders Vater gehört.« Sie seufzte. »Sie hat ihn ja so geliebt.«
»Wen? Den Friedrich?« Allmählich schälte sich Felbers Motiv heraus.
»Natürlich den Frieder. Die anderen drei waren richtige Saufköpfe und haben sich nur für den schnellen … na, wie soll ich es ausdrücken? Für den schnellen Spaß interessiert. Ja, Spaß ist wohl das richtige Wort.«
»Und was zum Teufel wollte Novak letzten Sonntagabend von Gerlinde?«
»Sie sollen doch nicht fluchen«, entrüstete sich Edda und bedachte ihn mit einem strengen Blick.
»Tut mir leid, aber manchmal rutscht mir das so heraus. Ich werde versuchen, mich zu bessern. Ehrlich.«
Sofort veränderten sich Edda Gesichtszüge, und sie lächelte wieder. »Er wollte sich wohl entschuldigen bei ihr.«
»Für was?«
»Weil er doch mit den anderen zusammen den Frieder an die SS verraten hat. Die sind nämlich am nächsten Morgen mit Lastwagen gekommen und …«
»… haben ihn aufgehängt.« Es gab keine Zweifel mehr. Auch Felbers Motiv stand jetzt fest.
»Ja, an der großen Linde beim ›Löwen‹. Die haben ihm ein Pappschild um den Hals gehängt, da stand drauf: ›Verräter‹.«
»Wie auf der Münze in Novaks Mund.« Treidler rief sich das Gekritzel auf der Rückseite des Fünf-Reichsmark-Stücks in Erinnerung. »Dann hat die Gerlinde Manfred Kopfler und Egon Barreis erschossen. Sie hat vermutlich noch immer eine alte Wehrmachtspistole. Novak bekam es mit der Angst zu tun. Er ist nach Russland geflüchtet, weil er nicht zugeben wollte, dass er seinen Freund an die SS verraten hat.«
Edda musste nicht weiterreden. Rache als Motiv war beileibe nichts Ungewöhnliches. Doch Johann Novak hatte wohl nicht damit gerechnet, dass Gerlinde Felber ihren Hass so lange mit sich herumtrug. Oder vielleicht doch? Hatte er womöglich genau mit dieser Reaktion gerechnet, als er am Ende seines Lebens reinen Tisch machen wollte und nach Florheim zurückgekehrt war? Die Antwort darauf würde wohl für immer sein Geheimnis bleiben.
»Warum hat sich niemand um die beiden Morde gekümmert?«, fragte er Edda, die ihre Tasche inzwischen so fest umklammerte, dass das Weiß ihrer Knöchel hervortrat.
»1945? Sie müssen wissen, das war ein gesetzloser Sommer.« Niedergeschlagenheit schwang in ihren Worten. »Damals sind so viele Leichen in der Gegend herumgelegen, da ist es auf zwei mehr nicht angekommen. Niemand hat die Toten gezählt.«
»Sie hätten es später melden können.«
Vehement schüttelte Edda den Kopf. »Gerlinde hat immer gesagt, die beiden hätten den Tod verdient. Sie hat mir einmal einen Brief vom Frieder gezeigt, in dem er ihr seine Liebe gestanden hat. Er hat noch in seiner Tasche gesteckt, als sie ihn an der Linde aufgehängt haben.«
Treidler nickte. Es war vermutlich sinnlos zu fragen, was Edda am Montagmorgen in aller Frühe am Tatort gewollt hatte. Sie hatte sich schon bei ihrem letzten Besuch nicht daran erinnern können. Allerdings wusste sie seit Jahren, dass ihre Freundin zwei Morde verübt hatte.
»Warum haben Sie uns das nicht schon gestern erzählt?«
Edda neigte den Kopf und schaute über den Rand ihrer Brille. »Junger Mann«, antwortete sie mit einem Lächeln. »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen. Wir haben uns doch gerade eben erst kennengelernt.«
Bevor Treidler etwas erwidern konnte, ertönten in der Ferne die Signalhörner mehrerer Polizeifahrzeuge. Sie kamen rasch näher. Er schaute auf die menschenleere Straße und wunderte sich, warum es noch keine Schaulustigen gab. Aber vermutlich lag das Bauernhaus am Friedhof so abgelegen, dass niemand die beiden Schüsse vorhin gehört hatte.
Sekunden später preschten eine Handvoll Fahrzeuge um die Ecke und kamen mit quietschenden Reifen am Straßenrand zum Stehen. Treidler blickte wieder zu Edda, die mehr interessiert als erschrocken dem Geschehen folgte.
Ein knappes Dutzend dunkel gekleideter Männer mit Skimasken sammelte sich schon hinter einem Lieferwagen. Die verdunkelten Seiten- und Heckscheiben des unscheinbar wirkenden Transporters sorgten dafür, dass niemand ins Fahrzeuginnere schauen konnte. Die Einsatzkräfte hatten schwere ballistische Westen übergezogen und trugen olivgrüne Helme mit Gehörschutz. Mit Präzisionsgewehren positionierten sich
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