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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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Lorbeerblättern, Rosmarinzweigen, fedriger Eberraute und himmelblauen Boretschblüten. Der würzige Duft stieg mir in die Nase und erinnerte mich an die Stunden mit Jonathan in der Küche. Vermutlich werde ich immer an ihn denken, wenn ich Lorbeerblätter rieche, dachte ich wehmütig und lehnte dankend das Angebot der Verkäuferin ab, mir das Sträußchen als Geschenk einzupacken.
    Ich trug es in der Hand, als ich die Eingangshalle von Adam Smith & Sons betrat. Der Türgong war noch nicht verklungen, als auch schon ein schwarz gekleideter, ernst blickender Herr aus einem Zimmer trat und mich mit gedämpfter Stimme fragte: »Womit kann ich Ihnen dienen, Madam?«
    Wendy hatte mir den Weg geebnet. Sobald ich meinen Namen nannte, nickte er wissend und sagte mitfühlend: »Eine so tragische Geschichte! Darf ich Ihnen mein Beileid aussprechen? Wir haben Mr. Dunnet im großen Andachtsraum aufgebahrt. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
    Sein kerzengerade aufgerichteter schwarzer Rücken führte mich durch lange Gänge. Kein Außengeräusch war hier drinnen zu hören. Nicht einmal unsere Schritte: Lautlos gingen wir über dicke, dunkelgraue Läufer, die jeden Laut verschluckten. Die allgegenwärtige Stille zerrte an meinen Nerven, ich fühlte, wie meine Handflächen feucht wurden und mein Atem schneller ging.
    »Hier, bitte sehr.« Er öffnete eine schwere Flügeltür, verbeugte sich und bedeutete mir einzutreten. »Ich warte hier, falls Sie einen Wunsch haben sollten«, sagte er würdevoll und wies auf einen schlichten Stuhl neben der Tür.
    Die Atmosphäre des Raums wirkte nicht so niederdrückend, wie ich es erwartet hatte. Ich hatte mich auf eine ähnliche Erfahrung eingestellt wie bei der Beerdigung von Mutter. In dem eiskalten, zugigen Nebenraum der Friedhofskapelle hatte es nach kaltem Weihrauch, feuchtem Stein und den alten, abgeräumten Trauerkränzen gerochen, die gleich um die Ecke hinter einer Hecke zum Abtransport bereitlagen.
    Die bodenlangen Vorhänge aus dunkelgrünem Samt passten farblich zum Teppichboden. Jonathan lag in einem schimmernd polierten Sarg aus hellem Holz. Rechts und links neben seinem Kopf hatte man in auf Säulen stehenden Vasen wunderschöne Blumengestecke arrangiert. Der Duft der orientalischen Lilien hing schwer und süß im Raum. Mit fiel ein, dass ich seltsamerweise keine Ahnung hatte, welches seine Lieblingsblumen gewesen waren. Darüber hatten wir nie gesprochen, aber die Lilien passten zu ihm: Ihr sinnlicher Duft, ihre klare Form entsprachen seiner Eleganz und seiner Liebe zum raffinierten Genuss.
    Jonathans Hände in schwarzen Handschuhen lagen über einer weißen Satindecke auf seiner Brust gefaltet. Sein Gesicht wies nicht die geringsten Anzeichen einer Verletzung auf, stellte ich erleichtert fest; dennoch wirkte es fremd und hart: Das war nicht mehr der Jonathan, den ich gekannt hatte. Dessen Gesicht immerzu in Bewegung gewesen war, dessen Augen stets gefunkelt, dessen Mund niemals einen derart strengen Ausdruck gehabt hatte. Fast war dieses Gesicht mir unheimlich, das eher einer Marmorbüste als meinen Freund glich.
    Obwohl ich von Mutter wusste, wie Tote aussahen, traf es mich trotzdem. Vorsichtig schob ich das Gewürzbouquet zwischen die steifen Finger und zuckte instinktiv zurück, als ich dabei die sich eiskalt anfühlende Haut an seinem Handgelenk berührte. Vielleicht war es diese letzte Berührung, die mir deutlich machte, dass der Abschied tatsächlich endgültig sein würde.
    »Adieu, Jonathan«, murmelte ich. »Ich wünsche dir, dass du jetzt glücklich bist!«
    Nach einem letzten Blick ging ich hinaus. Der Mann in Schwarz sprang beflissen auf, ließ den Türflügel lautlos ins Schloss fallen und fragte: »Haben Sie noch einen Wunsch?«
    Ich wusste nicht, wieso ich danach fragte, ob Jonathans Freund ebenfalls hier aufgebahrt wäre. Sein Gesicht verzog sich bedauernd. »Es tut mir leid, er wurde bereits überführt. Seine Familie wollte ihn in aller Stille beisetzen.«
    Auf dem Rückweg zur Victoria Station nahm ich wenig von meiner Umgebung wahr. Warum hätte man die beiden nicht zusammen begraben können ?, dachte ich. Ob Michaels Familie das nicht gewollt hatte?
    Vielleicht war es ganz gut, dass meine Sitznachbarin, eine ausgesprochen mitteilsame Endfünfzigerin, mir ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte, kaum dass ich unvorsichtigerweise zugegeben hatte, ebenfalls auf der Chelsea Flower Show gewesen zu sein. Ich konnte nicht widerstehen, sie danach zu fragen, wie

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