Schwarzer Purpur
einigermaßen normal aussah. Die Lider waren noch leicht geschwollen und die Augen gerötet, aber sonst deutete nichts mehr auf meinen Tränenausbruch hin.
Marks Zimmer war leer, das Bett wirkte unbenutzt. Nervös stieg ich die Treppe hinunter, meine Schritte hallten dabei ungemütlich in der Stille des Hauses wider. Ein Blick aus dem Fenster zeigte, dass die Pressemeute verschwunden war. Auf dem Fußabtreter lag die Post, die der Briefträger durch den Briefschlitz in der Tür geschoben hatte. Automatisch bückte ich mich und hob sie auf. Zu meinem Erstaunen war einer davon an mich adressiert. Der schwarze Rand erinnerte mich daran, dass Wendy versprochen hatte, mir eine Einladung zur Trauerfeier für Jonathan zu schicken.
Auf dem Tisch im Esszimmer lag eine Nachricht: ein nachlässig aus einem Block herausgerissener Zettel mit Marks markanter Handschrift.
Komme abends wieder.
Rosie wird sich um alles kümmern.
M.
Enttäuscht zerknüllte ich das Papier zu einem Ball und warf es in den offenen Kamin. Nicht einmal ein »Ich hoffe, es geht dir besser«! Aber dann fiel mir ein, dass er mir die Kopfschmerzen ja nicht geglaubt hatte. Wie schnell er seine Schlüsse zu meinen Ungunsten gezogen hatte!
Bedrückt bereitete ich mir eine Kanne Tee, suchte mir die Zutaten für ein schlichtes Frühstück zusammen. Rosie fühlte sich offensichtlich nicht für mich verantwortlich. Von wegen: Rosie wird sich um alles kümmern … Der Papierball schimmerte hell in der dunkelgrauen Asche, und ich stand auf und holte ihn wieder heraus, strich ihn glatt. Auch wenn es nur ein paar Worte waren, waren sie immerhin von Mark geschrieben worden, und ich besaß sonst nichts Persönliches von ihm.
Der Stich, den die sachliche, ja direkt kalte Nachricht mir versetzt hatte, machte mir bewusst, wie verwundbar ich war. Ihm gegenüber war ich so wehrlos wie ein Einsiedlerkrebs ohne schützende Hülle, eine Schildkröte ohne Panzer. Er konnte mich mit einem einzigen Satz, einer einzigen ablehnenden Geste tief verletzen.
Und plötzlich konnte ich Mutters rätselhafte Entscheidung nachvollziehen. Sie hatte das ruhige Unglück den unaufhörlichen Hochs und Tiefs vorgezogen. Berechenbarkeit war ihr lieber gewesen als Ungewissheit. Die Wunden vernarbten, und mit der Zeit ließ der Schmerz nach, wich einer Art Kallusgewebe, wie beschädigte Pflanzen es bilden. Bäume können erstaunliche Substanzverluste verkraften. Die meisten jedenfalls – nur sehr schwächliche und kranke Exemplare sterben ab.
Ich liebe ihn so sehr, dachte ich verzweifelt, dass ich nicht weiß, ob ich es ertragen könnte, wenn auch nur ein Funken Wahrheit in Jessicas Lügen steckt. Als er gestern Abend so wütend davonstürmte, ist er da tatsächlich zu ihr gegangen? Eigentlich glaubte ich es nicht, aber ein winziger Zweifel steckte wie einer dieser hinterhältigen, kaum sichtbaren Dornen, die man mit der Pinzette nicht fassen und herausziehen kann, tief in mir.
Die Richtung, die meine Gedanken nahmen, gefiel mir nicht. In diesem stillen Haus, in dem das Ticken der Uhr im Esszimmer und ein gelegentliches Knacken der Holzdielen die einzigen Geräusche waren, wurde ich vor lauter Grübeln noch verrückt. Marks Unverständnis, meine eigene Unsicherheit und Jessicas boshafte Behauptung drehten sich in einer endlosen grausamen Spirale.
Ich musste weg von hier, in Ruhe nachdenken, im Kopf klar werden. Aber das schaffte ich in Blackthorn Hall nicht. Nicht hier, wo ich nicht wusste, was schlimmer war: Das Alleinsein mit meinen Ängsten oder die offene Feindseligkeit der Donnelly-Frauen.
Die Sehnsucht nach dem friedlichen Alltagseinerlei bei Blütenzauber, Monikas und Alfons’ tröstlicher Nähe wurde plötzlich übermächtig. Mich dorthin zu flüchten, wieder an Vertrautes anzuknüpfen, schien mir nicht nur verlockend, sondern sogar vernünftig. Hier war ich im Augenblick überflüssig. Ich konnte weder Sophia im Krankenhaus beistehen noch Mark irgendwie helfen – in meinem emotionalen Ausnahmezustand schon gar nicht.
Mein Blick fiel auf Marks Nachricht. Ich würde ihm schreiben! Schreiben war besser als eine direkte Aussprache, weil man sich dabei nicht anschreien konnte. Außerdem sagte man bei solchen Gelegenheiten zu schnell Dinge, die man nicht hatte sagen wollen, und ehe man es sich versah, war es schlimmer als vorher. Das hatte ich schon ein paarmal in Filmen gesehen und mich gewundert, wie blödsinnig manche Menschen reagierten. Allmählich begann ich, mehr Verständnis
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