Schwarzer Purpur
nickte, ohne wirklich zu verstehen. Zwischen dem Leben, das sie geführt hatte, und meinem bis ins kleinste Detail geordneten Dasein lagen Welten. Ich spürte, wie schmerzlich es für sie war, diese Dinge wieder auszugraben, und ich wollte nicht, dass sie sich dem meinetwegen aussetzte.
»Und jetzt wollen wir den armen Alfons behutsam darauf vorbereiten, dass wir hier bald mehr schwarze Pflanzen haben werden, als ihm lieb sein dürfte«, sagte Monika schließlich betont munter, hakte mich unter und zog mich mit hinaus, um unseren Freund zu suchen.
Kurz vor Ostern meldete sich Dr. Weydrich, um mir mitzuteilen, dass er für das Haus einen ernsthaften Interessenten gefunden hätte. »Sind Sie bei Ihrem Entschluss geblieben, es verkaufen zu wollen?«
»Auf jeden Fall!«, antwortete ich.
»Gut, dann leite ich alles Notwendige in die Wege. Und was den Vertrag mit der englischen Gärtnerei angeht, der ist vermutlich Ende April, Anfang Mai unterschriftsreif. Werden Sie selbst nach London fahren, oder möchten Sie mir eine Vollmacht erteilen?«
»Nein, danke, Herr Dr. Weydrich. Das erledige ich selbst.«
Es traf sich gut, dass Monika und ich sowieso im Mai die weltberühmte Chelsea Flower Show besuchen wollten. Ich war noch nie dort gewesen, obwohl mir die Ausstellung natürlich ein Begriff war. Das Ereignis für Pflanzenliebhaber jeder Richtung, ein Mekka der botanisch Interessierten.
»Kannst du dir das vorstellen: zehn laufende Meter Rittersporn, einer neben dem anderen. Und jeder anders!«, hatte Monika geschwärmt. »Orchideen sind natürlich auch massenweise vertreten. Eigentlich alles – bis hin zu Fleisch fressenden Pflanzen. Und die Schaugärten erst …«
Meine kühne Entscheidung, selbst vor Ort die nötigen Unterschriften zu leisten, wurde mit einer gewissen Skepsis aufgenommen. Ich versicherte dem besorgten Notar, dass diese Prozedur sicher nicht bei irgendeinem Anwalt, sondern in einer Kanzlei, die sein Vertrauen genoss, stattfinden würde. »Sie glauben doch nicht, dass ich damit Probleme habe?«, hakte ich forsch nach.
»Nein, inzwischen nicht mehr.« Dr. Weydrichs Stimme hörte sich an, als würde er lächeln.
Das Gelb der Forsythien wich dem Rosarot der Zierjohannisbeeren, dem Lila des Flieders und dem ersten Weiß des Jasmins. Die Abendluft begann verführerisch zu duften, und die Amseln flöteten sich die kleinen Seelen aus dem Leib. Monika mochte sie nicht, weil sie die dumme Angewohnheit hatten, Krokusse zu zerfetzen und später im Jahr eine ernsthafte Gefahr für die Erdbeeren und Kirschen darstellten. Ich aber hätte ihnen alles verziehen, weil ich ihre Abendlieder so liebte. Besonders eine glaubte ich persönlich zu kennen. Sie saß immer auf dem einen Ende des Dachgiebels und besaß eine unglaublich reine Stimme.
Inzwischen wurde es immer deutlicher, dass Mike in Stevie verliebt war. Immer öfter ertappte ich sie dabei, dass sie verträumt vor sich hin lächelte. Nicht, dass sie das Geschäft vernachlässigte, aber Alfons und ich gewöhnten uns daran, dass sie von Samstagmittag bis Montagmorgen bei Stevie war. Ein paar Mal hatten wir ihn zu Gesicht bekommen: ein Riese mit offenem Gesicht und schüchternem Lächeln, der Mike geradezu anbetete. Er schien sie für ein zerbrechliches Zauberwesen zu halten, und Mike schien diese Verehrung zu genießen.
Ich war gern mit Alfons allein; seine gärtnerischen Lebensweisheiten, sein Mutterwitz und sein fast intuitives Verständnis für menschliche Probleme erstaunten mich immer wieder aufs Neue. Eines Nachmittags, als wir zu zweit die Löwenmäulchen-Sämlinge pikierten, erzählte ich ihm die Geschichte meiner Eltern und von meinem Wunsch, meinen Vater kennen zu lernen, dem ich so ähnlich sah, dass meine Mutter darunter gelitten hatte.
»Mir wäre es auch lieber gewesen, auszusehen wie alle anderen!«, endete ich.
»Sei froh, dass du nicht gefragt wurdest«, erwiderte er knurrig ohne aufzusehen. Seine flinken braunen Finger führten das Pikierholz mit der Routine jahrzehntelanger Erfahrung und drückten die einzelnen Pflänzchen in das neue Substrat, während er fortfuhr: »Unter Züchtern würde man sagen, du bist eine Hybridzüchtung. Das ist etwas Besonderes.« Er richtete sich auf und zog mich vor den Tisch mit den Tagetes-Sämlingen. »Hier, schau sie dir an. Jede von ihnen wird genau die gleiche Blütengröße und Farbe haben. Und jede von ihnen bildet Samen, die wieder genau die gleichen Eigenschaften weitergeben werden. Völlig
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