Schwarzer Purpur
mein Maiglöckchenkleid ausreichend wäre, aber Jonathan widersprach energisch. »Du kannst doch nicht in demselben Kleid erscheinen, in dem dich der größte Teil der Anwesenden schon am Tag zuvor gesehen hat! Das geht einfach nicht. Morgen gehen wir wieder zu Jane – keine Widerrede!«
Mein Sträuben hätte vielleicht ein wenig heftiger ausfallen können, aber ich musste zugeben, dass ich im Grunde nichts dagegen hatte, ein weiteres Kleid zu kaufen. Zwei Kleider in zwei Tagen – welche Extravaganz. Aber wie ich mich selbst erinnerte: ich konnte sie mir leisten. Warum sollte ich mir diese Extravaganz also versagen?
Janes Augen blitzten begeistert, als sie uns in der Ladentür erspähte. »Braucht deine junge Freundin vielleicht ein Abendkleid? Ich habe gerade vorhin eines hereinbekommen, da habe ich gedacht: das wäre genau das richtige Kleid für diese Lady!«, begrüßte sie uns.
»Was nützt es, gegen das Geschick sich aufzulehnen?«, murmelte Jonathan ironisch.
»Was redest du für einen Unsinn?«, fragte Jane irritiert.
»Dante, meine Liebe, Dante Alighieri – das ist kein Unsinn, nur ein Sonett. Lass dich nicht verwirren. Du sagtest, du hättest etwas Passendes da?«
Und tatsächlich: Das Kleid, das Jane uns triumphierend präsentierte, entlockte Jonathan einen bewundernden Pfiff. »Da haben wir tatsächlich Glück gehabt. Und du hattest Recht – es ist wie für Verena geschaffen.« Es musste aus den Zwanzigerjahren stammen. Granatrote, plissierte Seide, die den Körper umschloss, nachzeichnete. Der schlichte Schnitt war angelehnt an antike Frauengewänder: zwei schmale Bahnen kreuzten sich über der Brust, einen unanständig tiefen Ausschnitt freilassend, und fielen eng anliegend bis zu den Knöcheln. An der rechten Seite gab ein kniehoher Beinschlitz der Trägerin die nötige Bewegungsfreiheit.
»Kein Mann könnte dem Anblick widerstehen«, verkündete Jane pathetisch, als ich schüchtern aus der Kabine trat.
Die junge Frau im Spiegel trug das rote Kleid, als sei es ihr auf den Leib geschneidert worden. Die plissierte Seide schmiegte sich an ihren Körper, zeichnete seine Konturen nach, die schlanke Taille, den üppigen Busen, die langen Beine.
Ich sah aus wie ein Filmstar in einem alten Hochglanzmagazin!
»Ausgezeichnet«, nickte Jonathan. »Was du hierzu aber unbedingt brauchst, ist Schmuck. Jane, hast du etwas Passendes da, das du ihr leihen könntest?«
Jane wäre nicht Jane gewesen, wenn sie diese Herausforderung nicht mit Bravour gemeistert hätte. In ihrem unerschöpflichen Fundus fanden sich ein Collier samt Ohrringen und Armband in Strass und Markasit, schwarze Satinhandschuhe und eine Samtstola.
Als sie allerdings mit einem Paar glitzernder Abendsandalen in der Hand auftauchte, weigerte ich mich strikt. »In denen kann ich keinen Schritt laufen, geschweige denn tanzen. Ich bin Absätze nicht gewöhnt.« Wir einigten uns auf ein Paar schlichte schwarze Pumps mit niedrigem Absatz.
»Es geht mich ja wirklich nichts an, aber kannst du eigentlich tanzen?«, fragte Jonathan in entschuldigendem Ton, als wir zufrieden und erschöpft von unserer Tour in seine Wohnung zurückkehrten.
»Natürlich, ich war über zehn Jahre in einer Ballettschule«, entgegnete ich beleidigt, als mir auch schon aufging, dass Jonathans Frage durchaus berechtigt war. Ich beherrschte zwar die klassischen Figuren, aber ich hatte immer nur Ballett getanzt. Gesellschaftstänze wurden an der Schule nicht gelehrt. Also rollten wir den Teppich im Flur zusammen, und Jonathan versuchte, das Versäumte in einer Art Crashkurs nachzuholen. Obwohl ich ihn mochte und ihm vertraute, bereitete mir die körperliche Nähe zu ihm seltsamerweise Probleme. Es machte mich nervös, einem Mann so nahe zu sein, dass unsere Körper sich bei einigen Figuren berührten. Anfangs versuchte ich so weit wie möglich zurückzuweichen, bis Jonathan mich stirnrunzelnd darauf hinwies, dass man normalerweise nicht mit einem Sicherheitsabstand von einem halben Meter tanzte. »Ich habe nicht vor, dich in die Nase zu beißen – entspann dich und achte auf deine Füße!«
Ich befolgte seinen Rat und konzentrierte mich auf die Schritte. Und tatsächlich: Nach einiger Zeit schaffte ich es, meinen Körper dem Rhythmus der Musik und Jonathans geschickter Führung zu überlassen.
»Es wird besser – du fühlst dich nicht mehr an, als hättest du einen Besenstiel verschluckt«, stellte er befriedigt fest. »Denk dran: nicht verkrampfen, weich bleiben.
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