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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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Ihre Geschäftstüchtigkeit geschimpft«, entschuldigte er sich verlegen. Aber Mark Abernathy wäre nicht er selbst gewesen, wenn er sich allzu lange zerknirscht gezeigt hätte. »Wir sollten uns besser am Büfett anstellen, solange die Leute noch nüchtern sind«, schlug er vor. »Dieses beeindruckende Kleid könnte sonst zu Problemen führen …« Er ließ vielsagend seine Augen über die sich deutlich abzeichnenden Kurven meines Oberkörpers wandern. »Engländer sind so etwas nicht gewöhnt.«
    Ich warf einen ostentativen Blick in die zwischenzeitlich gut gefüllte Halle: »Das sieht man!«
    Abernathy schmunzelte. »Wenn die Mehrheit der Damen Sie gerade zum Teufel wünscht, haben Sie sich das selber zuzuschreiben! Sie wirken, wie eben einer italienischen Oper entstiegen.«
    Erschreckt sah ich an mir hinunter. War das Kleid doch zu gewagt? Amüsiert glitzernde Augen fingen meinen Blick ein. »Missverstehen Sie mich nicht! Sie sehen großartig aus, aber absolut ungewöhnlich. Gar nicht deutsch …«
    Da war er wieder, dieser Schauer, der über meinen Nacken lief. Und es war mir mit einem Mal gleichgültig, was die Leute hier im Saal von mir denken mochten. Solange Mark Abernathy mein Aussehen für großartig hielt, war die Meinung der anderen irrelevant. In seinen Augen spiegelte sich eine dunkelhaarige, exotische Schönheit, die nichts mehr mit der alten Verena Naumann gemeinsam hatte, die immer so verzweifelt versucht hatte, unauffällig zu sein.
    Ich warf den Kopf zurück und lachte, unempfindlich gegen die Blicke von den Nachbartischen. Heute Abend war ich entschlossen, alles auszukosten. Ich fühlte mich wie Aschenputtel in seinem traumhaften Ballkleid. Niemand kannte mich, für ein paar Stunden würde ich in die Rolle der Femme fatale schlüpfen und alles tun, was ich mir wünschte zu tun.
    »Gehen wir zum Büfett«, sagte ich und erhob mich mit der geschmeidigen Anmut, auf die unsere Ballettlehrerin so viel Wert gelegt hatte. Ein Leichtsinn hatte von mir Besitz ergriffen, der mir zu Kopf stieg wie Alkohol.
    Ich kann mich nicht erinnern, wie die Delikatessen schmeckten, die wir uns ungeniert auf die Teller gehäuft hatten. Ich aß sie genauso achtlos, wie ich den Prosecco trank, den Abernathy bestellte.
    Sein gebräuntes Gesicht schien in der zurückhaltenden Beleuchtung im Kontrast gegen das weiße Hemd noch dunkler, seine Schultern in dem schwarzen Tuch noch eindrucksvoller, und das zerbrechliche Weinglas ließ seine Hände noch riesiger erscheinen. Ich bewunderte die Präzision, mit der diese großen, maskulinen Hände das lächerlich kleine Besteck handhabten, die Anmut, die sie unpassenderweise dabei ausstrahlten. Diese Hände konnten genauso gut schwere Balken bewegen wie winzige Sämlinge.
    Einmal ertappte ich mich erst, als er fragend die Brauen hochzog und offensichtlich auf eine Erwiderung wartete, dabei, dass ich überhaupt nicht zugehört hatte; meine Aufmerksamkeit hatte einzig und allein seinem faszinierenden Mund gegolten, den beim Lächeln aufblitzenden Zähnen, dem kleinen Grübchen, das sich dabei in seiner rechten Wange bildete.
    »Entschuldigung, ich war gerade abgelenkt«, murmelte ich.
    »Und ich hatte den Eindruck, dass sie gebannt an meinen Lippen hängen«, sagte er Kopfschüttelnd. »Da sieht man wieder, wie man sich täuschen kann. – Ich fragte gerade, ob Sie außer Orchideen noch andere Spezialgebiete haben?«
    »Fuchsien und Prachtstauden«, antwortete ich achtlos.
    Er verzog in stummer Anerkennung das Gesicht. »Ich habe das Gefühl, Sie haben mich ganz schön an der Nase herumgeführt! Wie sind Sie dazu gekommen – stammen Sie aus einer Gärtnerfamilie?«
    Die bloße Vorstellung von Mutters makelloser Erscheinung zwischen feuchten Beeten und erdverschmierten Tontöpfen brachte mich zum Lachen. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, meine Mutter hasste alles, was in ihren Augen ›Schmutz‹ war. Sie beschäftigte sich nur mit Geldanlagen. Und von meinem Vater weiß ich so gut wie nichts.«
    Überrascht suchte er sichtlich nach den passenden Worten. »Sie sagen ›hasste‹. Lebt Ihre Mutter nicht mehr?«
    »Sie starb vor einem halben Jahr«, erwiderte ich kurz angebunden und hoffte, dass er mit der Fragerei aufhörte. Eine Femme fatale in granatrotem Plissee hat keine banale Vergangenheit. »Ich möchte nicht darüber reden«, setzte ich daher entschlossen hinterher, griff nach meinem Glas und schüttete den Inhalt schneller hinunter, als klug war.
    »Es tut mir leid. Lassen Sie

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