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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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spüren, wie meine Kehle sich schmerzhaft verkrampfte, als Wendy schniefend fortfuhr: »Jonathan hätte nicht gewollt, dass Sie es aus der Zeitung erfahren. Er hat Sie sehr gern gehabt, hat in den letzten Tagen viel von Ihnen gesprochen. Der arme Michael war schon ganz eifersüchtig, und wir haben ihn alle noch damit aufgezogen …« Sie schluchzte laut auf. »Heute Morgen hat er so glücklich gewirkt. Er hat allen erzählt, dass Jonathan ihn gefragt hätte, ob er bei ihm einziehen wolle. Und jetzt das …«
    Das stille Gesicht von Annie Dunnet tauchte vor meinem inneren Auge auf. »Wie geht es seinen Eltern?«, gelang es mir, mit gepresster Stimme zu fragen.
    »Mrs. Dunnet ist sehr gefasst. Ich habe schon mit ihr gesprochen und ihr angeboten, dass der Sender sich um die Beisetzung kümmert. Sie hat übrigens nach Ihnen gefragt …« Wendy schnäuzte sich energisch. »Ich habe ihr versprochen, dass ich Ihnen eine Benachrichtigung schicke, sobald der Beerdigungstermin feststeht. An Ihrer Stelle würde ich aber nicht hingehen. Die Presse wird sich nur so auf Sie stürzen, schließlich waren Sie die letzte Person, die man in seiner Nähe gesehen hat – die geheimnisvolle Unbekannte …«
    Automatisch dankte ich ihr, legte auf, ging wie eine Schlafwandlerin ins Esszimmer, wo die fröhliche Unterhaltung in dem Augenblick abbrach, in dem ich in der Tür stand.
    »Was ist los?«, fragte Mark besorgt und sprang auf, um mich in den großen Sessel neben Sophias zu ziehen.
    »Schlechte Nachrichten?« Auch Sophia wirkte beunruhigt.
    Ich holte tief Luft und sagte dann tonlos: »Jonathan ist tot.« Es klang seltsam, so, als spräche ich den Text einer Rolle.
    »Tot?«, entfuhr es Sophia. »Aber wie ist das möglich?«
    »Ein Unfall?«, fragte Mark mit flacher Stimme.
    Ich nickte stumm und versuchte die Betäubung abzuschütteln, die mich lähmte, aber das irreale Gefühl hielt unvermindert an. Ich versuchte zu begreifen, dass Jonathan tot war, aber der Gedanke schien so abstrakt zu sein wie eine Inszenierung. Buchsbäume werden uralt. Sie sterben nicht einfach so, von einem Tag auf den anderen!
    Mutters Sterben war ein langsames gewesen, so langsam, dass ich manchmal glaubte, es nicht mehr ertragen zu können. Ihr Tod war ein erwarteter gewesen, vielleicht sogar ein ungeduldig erwarteter. Ich erinnerte mich noch gut an meinen ersten Gedanken, für den ich mich im gleichen Moment zutiefst schämte: »Endlich!« Jetzt starrte ich auf den Stuhl, von dem Jonathan mir heute Morgen noch fröhlich zugeblinzelt hatte, und fühlte zu meinem eigenen Entsetzen statt der Trauer, die ich erwartet hatte, Wut in mir aufsteigen. Wenn ich mich wenigstens von ihm hätte verabschieden können, ihm für alles danken. Ich fühlte mich … betrogen! Ein diffuses inneres Aufbegehren ließ mich wütend die Hände zu Fäusten ballen und ausrufen: »Es ist so unfair, so verdammt unfair!«
    Mark nahm mich wortlos in die Arme und wiegte mich hin und her. Eine beruhigende Schaukelbewegung, mit der man Kinder zu besänftigen versucht. Ich spürte seinen Herzschlag unter meiner Wange und drängte mich an ihn, versuchte mit ihm zu verschmelzen, etwas von seiner Kraft und Ruhe aufzusaugen.
    »Wie ist es passiert?«, murmelte er.
    »Sie sagte, ein betrunkener LKW-Fahrer hat sie überrollt. Sie waren beide sofort tot.«
    »Wenn es so schnell ging, haben sie vielleicht gar nicht mehr begriffen, was geschehen ist«, versuchte Mark mich zu trösten. »Und immerhin waren sie zusammen …«
    »Genau darauf werden die Presseheinis sich stürzen«, sagte Sophia düster. »Dunnet war ein bekannter Mann in der Szene. Morgen werden sie in Massen hier umhertrampeln!« Sie erhob sich schwerfällig wie die alte Frau, die sie eigentlich war, und ging zur Tür. »Es tut mir sehr, sehr leid, meine Liebe. – Ich gehe und erzähle es Rosie.«
    Der plötzliche Blitz erschreckte uns alle. Ich schrie auf. Er war so hell gewesen, dass ich jeden Augenblick mit ohrenbetäubendem Donner rechnete. Das Gewitter musste direkt über uns sein.
    »Verfluchte Mistbande! Genau das habe ich befürchtet!« Mark riss sich von mir los und stürzte zur Tür. Ich hörte ihn im Flur mit Sophia sprechen, die ebenfalls aufgebracht klang. Verwirrt sah ich mich um.
    »Das war einer von diesen Schmierfinken! Wir haben ihn gerade noch verschwinden sehen. Ich frage mich, wie er so schnell Wind von der Sache bekommen hat«, knurrte Mark.
    »Vermutlich hat er den Polizeifunk abgehört«, meinte Sophia erbost.

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