Schwarzer Rauch
überlegte. Leider dachte sie versteckt vor mir nach, so dass ich nicht herausfinden konnte, was genau in ihr vorging.
»Einverstanden. Ich werde mit dir gemeinsam auf die Suche gehen. Du musst wissen, dass wir nicht immer exakt »nachsehen« können, was wem wann passieren wird. Es ist eher so, dass wir durch ein Fenster auf den Lebensweg des zu Überprüfenden schauen können. Dieser könnte sich aber beispielsweise kurz vorher geteilt haben. Dann sehen wir natürlich nur die eine Version der Zukunft. Mit viel Training können wir die Entscheidung, die zu dieser Aufgabelung geführt hat, herausfiltern. So, wie ich es mit Darian gemacht habe. Ich habe ihn überprüft, als ich für einen winzig kleinen Moment etwas Dunkles von ihm gespürt hatte. Ich sah, wie er seinem Vater das Grimoire übergibt.«
Ich atmete zischend ein.
»Keine Sorge, ich habe auch den anderen Weg überprüft. Dieser zeigte ihn an unserer Seite gegen seinen Vater kämpfend. Mit der endgültigen Entscheidung für dich war der andere Lebensweg gesperrt.«
»Und man kann auf seinem Lebensweg nicht zurückgehen?« Klang das seltsam? Aber was nützte es, wenn man einmal die richtige Entscheidung getroffen hatte, diese aber wieder rückgängig gemacht werden konnte?
»So funktioniert das nicht. Wenn Darian beispielsweise dieselbe Entscheidung noch einmal treffen müsste, dann wäre nun in der Zwischenzeit so viel passiert, dass er nicht mehr auf den Pfad gelangen würde, auf dem er seinem Vater das Hexenbuch gibt. Sein Vater hat euch verflucht – das kann und wird Darian nicht überwinden.«
Das wiederrum leuchtete mir ein. Ich verbildlichte mir die Beschreibung des Lebensweges, die Aurelia mir eben gegeben hatte. Ich schaute auf mein Leben zurück. Eigentlich nur auf die letzten sechs Monate. Davor war kein herausragendes Ereignis oder eine große Entscheidung, die mir auf die Schnelle einfallen würde.
Allein mein Lebensweg der letzten vier Wochen musste ausgesehen haben wie ein Labyrinth. Die Geschichte von Stonehenge, die Darian mir gesandt hatte, dann der Fund des Grimoire Lunaris - und dass ich es mitgenommen hatte. Die Entscheidung für Darian als meinen Begleiter anstelle von Selena … und am allerwichtigsten für meine gesamte Zukunft: Dass ich Darian vertraute, obwohl er mich derart hintergangen hatte.
Aurelia rüttelte mich aus meinen Gedanken: »Man kann immer erst rückblickend erkennen, was eine weggabelnde Entscheidung war. Entweder man erkennt dann, dass man die richtige Wahl getroffen hat, oder man ist mit dem Ergebnis unzufrieden, kann aber nicht mehr zurück. Umso wichtiger ist es, die eigenen Konsequenzen abzuschätzen. Aber nun genug davon. Bist du hier um etwas zu lernen?« Sie schlug einen schrecklich oberlehrerhaften Ton an.
»Ja, Frau Lehrerin«, grinste ich sie an.
Sie grinste frech zurück. »Na dann mal los.« Sie zog mich mit sich aus dem Büro hinüber in ihr »Wohnzimmer«. »Du setzt dich besser erstmal. Bevor ich dich armen Neuling wieder einmal vor einem Schwächeanfall retten muss.«
Ich tat, was sie sagte, musterte sie kurz und fragte dann: »Wieso kippst du denn nicht um? Oder wieso war ich laut Darian stundenlang weg, obwohl es mir nur wie Minuten vorkam? Du bist immer da, hast höchstens kurz die Augen geschlossen?« Es stauten sich derart viele Fragen auf, die ich gar nicht schnell genug stellen konnte.
»Die Zeit vergeht tatsächlich anders. Aber man kann bestimmen, ob sie schneller oder langsamer vergeht. Ist alles eine Sache des Trainings. Wenn du die Zeit im Schnelldurchlauf an dir vorbeiziehen lässt, dann dauert die Vision hier natürlich nur einen kurzen Augenblick, einen Wimpernschlag eben.« Sie zwinkerte mir zu. »In solch einem kurzen Moment kippt keiner um, besser gesagt kann man sich sofort wieder fangen. Es fühlt sich nur so an, als würde einem kurz schwarz vor Augen werden.«
Das Gefühl kannte ich. Mein Kreislauf war schon immer gefährlich niedrig, da konnte so etwas schon ab und an passieren. Zumindest war ich diesbezüglich schon im Training.
»Okay, dann lass uns beginnen. Für den Anfang nimmst du dir am besten deinen Mondstein oder den Portationsschlüssel zu Hilfe. Er hilft dir, deine Gabe zu kanalisieren. Später suchst du dir einen x-beliebigen Punkt an deinem Körper, der die Rolle des Katalysators übernimmt. Ich habe mich für die Schläfe entschieden, wie du dir sicher schon gedacht hast.« Sie tippte sich in ihrer typischen Geste an die Seite ihres Gesichtes. Ich
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