Schwarzer Regen
Straße. Ein Autofahrer musste eine Vollbremsung machen, um nicht mitten in die Gruppe zu rasen, und hupte empört.
Fabienne hörte das Getrappel schwerer Stiefel, dann rannten vier kahlköpfige Jugendliche in Bomberjacken am Schaufenster vorbei. Im nächsten Moment wurde die Tür des Ladens aufgestoßen, und die Skinheads stürmten herein. Ihre Augen waren vor Angst geweitet. Fabienne erkannte Jonas Dinkel und Bert, die sie vor ein paar Tagen attackiert hatten.
»Bitte!«, flehte Jonas. »Sie müssen uns helfen! Die machen |330| uns fertig!« Ohne eine Antwort abzuwarten, schoben sich die vier an Fabienne vorbei in den hinteren Raum.
Verdient hatten die Mistkerle ihre Hilfe weiß Gott nicht, aber Fabienne wollte auf keinen Fall, dass es im Laden zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung kam, bei der möglicherweise die Ware beschädigt wurde. Also hastete sie zur Tür, um abzuschließen, doch sie war nicht schnell genug. Bevor sie den Schlüssel herumdrehen konnte, wurde die Tür brutal aufgestoßen.
Ein Jugendlicher, vermutlich türkischer Herkunft, stand vor ihr. Er hielt ein verbeultes Eisenrohr von einem halben Meter Länge in der Hand. Sein dünnes Oberlippenbärtchen verriet, dass er kaum älter als sechzehn sein konnte. Seine Augen musterten Fabienne kalt und drohend. »Gehen Sie zur Seite!«, sagte er.
»Wir haben geschlossen!«, sagte Fabienne und versuchte, die Tür zuzudrücken, doch der Junge stellte seinen Fuß in den Weg.
»Ich sag das nicht noch mal! Geh zur Seite, du Schlampe! Sonst mach ich dich genauso fertig wie deine scheiß feigen Nazifreunde!«
Fabienne fühlte sich schrecklich hilflos. Sie besaß nicht die natürliche Autorität ihrer Chefin Hilde Gerstner, die vielleicht mit dieser Situation fertiggeworden wäre, aber vor einer halben Stunde zum Großmarkt gefahren war. Fabienne war auf sich gestellt. Sie nahm allen Mut zusammen und sah dem Türken direkt in die Augen. »Ihr könnt draußen warten, bis sie wieder rauskommen!«
»Damit du in der Zwischenzeit die Bullen rufst? Glaubst du, ich bin bescheuert? Zum letzten Mal: Geh zur Seite!«
»Ey, was soll das, Mann?«, grölte einer der nachdrängenden Jugendlichen. »Geh schon rein in den Laden! Wir prügeln diese Nazi-Brandstifter da raus! Scheiß Mörder!« Zustimmende Rufe erschollen.
|331| Fabienne versuchte, ihre Position zu halten, doch der Junge gab ihr einfach einen kräftigen Schubs, so dass sie rücklings in die Auslage fiel. Ein großer Eimer mit Rosen fiel um und tränkte ihre Jeans mit Wasser.
»Nein!«, schrie sie, doch das Gebrüll des Mobs übertönte sie. Im Nu war der kleine Laden mit Jugendlichen überfüllt. Der junge Türke, der sie beiseitegestoßen hatte, war mit zwei anderen bis in den Hinterraum vorgedrungen. Von dort waren Schreie und das dumpfe Geräusch von Schlägen zu hören.
In ihrer blinden Wut begannen diejenigen, die nicht bis zum Hinterraum gelangt waren und kein Ziel für ihre Wut fanden, auf die Ladeneinrichtung einzuprügeln. Innerhalb von Sekunden lag der ganze Laden in Trümmern. Die großen Schaufensterscheiben zersplitterten mit lautem Knall.
Voller Entsetzen musste Fabienne mit ansehen, wie Hilde Gerstners Laden in einen Scherbenhaufen verwandelt wurde, bedeckt von einem Brei aus Blütenblättern, Pflanzenstängeln und Glassplittern. Sie barg den Kopf zwischen den Armen, um nicht von herumfliegenden Splittern und den unkontrolliert geschwungenen Schlagwaffen getroffen zu werden. Sie hatte den Mund aufgerissen, konnte jedoch ihren eigenen Schrei in dem Gebrüll kaum hören.
Todesangst packte sie. Die Eindringlinge schienen in blinde Raserei verfallen. Wenn einer von ihnen mit einem Metallrohr auf sie einprügelte …
Endlich ertönten draußen Martinshörner. »Die Bullen!«, brüllte einer der Jugendlichen neben ihr. »Los, abhauen!«
Der Mob stürmte aus dem Laden. Fabienne wagte es, die Hände vom Kopf zu nehmen.
Einer der Angreifer verletzte sich bei dem Versuch, durch das zerborstene Schaufenster zu springen, an einer |332| dolchartigen Scherbe. Mit blutendem Bein blieb er auf dem Bürgersteig liegen.
Kurz darauf drangen zwei Polizeibeamte in den Laden. Sie sahen sich fassungslos um. Einer der beiden bemerkte Fabienne. »Sind Sie verletzt?«
Sie schüttelte den Kopf, obwohl ihre Hand blutete. Er half ihr auf.
Ungläubig betrachtete sie das Chaos um sich herum, während der Polizist, der ihr geholfen hatte, über Funk mehrere Rettungswagen anforderte. Sein Kollege starrte auf
Weitere Kostenlose Bücher