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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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weit auseinander standen und sich nicht einmal anblickten. Er lächelte und steckte die Karte in seine rechte Jackentasche. Erst, als er die Hand hineinschob, merkte er, dass es die Tasche war, in der auch seine Pistole war. Doch er wollte die Karte nicht wieder herausziehen. »Danke!«, sagte er.
    Fabienne bemerkte sein kurzes Zögern nicht. Sie warf sich ihm an den Hals und küsste ihn lange, während ihre Tränen seine Wangen benetzten. »Lennard«, sagte sie, als sie sich schließlich von ihm löste. »Bitte versprich mir, dass du wiederkommst!«
    Er sah ihr ernst in die Augen. »Das verspreche ich!«
    Sie lächelte tapfer. »Pass auf dich auf!«
    Er küsste sie noch einmal, dann griff er seine Reisetasche und ging.

|339| 67.
    Tanaka fühlte sich wie auf einer Wolke. Er schien mehr über dem Bett zu schweben, als darauf zu liegen. Das Gefühl war ihm unheimlich, aber wenigstens hatte er keine Schmerzen. Was immer ihm der deutsche Arzt da wieder gespritzt hatte, es wirkte verdammt gut.
    Obwohl er sich so leicht fühlte wie einer der Papierballons, die er als Kind in den Himmel über Hiroshima hatte steigen lassen, senkte sich eine tiefe Müdigkeit über ihn. In seinen Augenwinkeln lauerte Dunkelheit. Sie schien nur darauf zu warten, dass er endlich losließ, damit sie ihn einhüllen und in sich auflösen konnte. Bald würde es so weit sein.
    Keiko beugte sich über ihn. Sein Blick war getrübt, ob von der Verstrahlung oder den Medikamenten, wusste er nicht. Doch er konnte ihren besorgten Ausdruck erkennen, die zerfurchte Stirn, ihre wunderschönen braunen Augen. Stolz und Liebe erfüllten ihn.
    Es war eine seltsame Fügung des Schicksals, dass die Wochen nach der zweiten Bombe die besten seines Lebens gewesen waren. Natürlich hatte er sich elend gefühlt, hatte Schmerzen gehabt. Doch mit dem Blitz war die Angst, die sein ganzes bisheriges Dasein vergiftet hatte, verschwunden. Einfach so, als hätte jemand einen Schalter, der vor vielen Jahren aktiviert worden war, wieder ausgeknipst.
    Und dann, am Tag nach der Katastrophe, hatte Keiko vor ihm gestanden, unverletzt. Zuerst hatte er geglaubt, sie sei ein Geist, der gekommen war, um ihn ins Jenseits zu begleiten. Doch sie hatte ihn mit diesen wunderbaren großen Augen angesehen, genau wie jetzt, und ihn gefragt, warum |340| er nicht, wie verabredet, am Frankfurter Flughafen auf sie gewartet hatte. Sie habe ihn dort stundenlang gesucht. Damals wäre er am liebsten von seinem Feldbett aufgesprungen und hätte einen Freudentanz aufgeführt, aber das wäre angesichts des Leids um ihn herum ziemlich unpassend gewesen.
    Ein simples Missverständnis hatte ihr und den Kindern das Leben gerettet – und seins gekostet. Es war der beste Tausch, den er in seinem Leben je gemacht hatte.
    Er hatte von Anfang an gewusst, dass er bald sterben würde. Schließlich kannte er die Tücken der Strahlenkrankheit nur allzu genau. Doch die medizinische Versorgung war heute eine völlig andere als zur Zeit des Kriegs. Damals waren seine Brandwunden mit nichts als Sojaöl behandelt worden. Es hatte kaum Ärzte gegeben, und die wenigen, die überlebt hatten oder aus umliegenden Städten zu Hilfe gekommen waren, hatten keine Ahnung gehabt, was sie tun sollten. Er hatte sich selbst mit Essstäbchen die Maden aus einer schwärenden Verletzung an seinem Bein herauspulen müssen. Sein kleiner Bruder, den er aus der Flammenhölle gerettet hatte, war nur vier Tage später gestorben. Noch Jahre nach dem Krieg war er als Hibakusha, als Opfer der Bombe, wie ein Aussätziger gemieden worden, weil viele Menschen glaubten, die Strahlenkrankheit sei ansteckend.
    Heute lag er in einer Hamburger Klinik, die es ohne weiteres mit den modernsten Einrichtungen in Tokio aufnehmen konnte, und wurde mit absurdem Aufwand gepflegt. Auch wenn sie die Strahlenkrankheit noch immer nicht heilen konnten.
    Dennoch war er den Ärzten dankbar, dass sie ihm noch ein paar Wochen mit seiner Tochter und den beiden Enkelkindern geschenkt hatten. Nun allerdings war die Zeit gekommen, um Abschied zu nehmen.
    |341| »Vater?« Keikos Stimme klang weit entfernt, und er spürte ihre Hand in seiner kaum noch. »Wie geht es dir, Vater?«
    Er lächelte. »Es ist gut, meine Tochter«, flüsterte er. »Alles ist gut!«

|342| 68.
    Zuerst fuhr Lennard zum Friedhof. Die Luft war klar und warm, die Vögel jubilierten in der Augustsonne. Bienen und Schmetterlinge umschwirrten die Blumen und frischen Kränze auf den Gräbern. Eichhörnchen

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