Schwarzer Regen
ebenfalls Jurist zu werden. Er würde glauben, dass Ben ihm nacheiferte. Doch das Gegenteil war der Fall. Ben hielt Jochen Walter für einen windigen Winkeladvokaten, dem Recht und Gerechtigkeit am Arsch vorbeigingen. Er wollte Jurist werden, damit Typen wie sein Stiefvater das deutsche Rechtssystem nicht völlig zugrunde richteten. Doch nun war er selbst mit diesem Rechtssystem in Konflikt.
»Quatsch!«, rief Willi. »Die müssen uns doch wieder laufen lassen. Was haben wir denn schon groß gemacht? Außerdem bist du doch nicht mal volljährig!«
»Was wir gemacht haben? Landfriedensbruch nennt man das!«, rief Ben lauter als beabsichtigt. Willi ging ihm mit seiner Naivität auf die Nerven. Wenn er nicht so blöd gewesen wäre, dann wäre überhaupt nichts passiert.
|91| »Hört auf, euch zu streiten!«, sagte Gerd. »Wir müssen zusammenhalten! Das war ganz klar Notwehr! Der Türke hat Willi mit dem Schild angegriffen, wir anderen haben ihn nur verteidigt. Ist das klar?«
»Und die Bierdose?«, sagte Ben mit einem finsteren Blick in Richtung von Hannes.
Der Dortmunder, der ihnen allen den Schlamassel eingebrockt hatte, besaß auch noch die Unverschämtheit, blöd zu grinsen. »Wat soll damit sein? Die is mir aus der Hand gerutscht!«
»Das war echt bescheuert, Mann!«, sagte Martin. Er hatte bereits mit dem Medizinstudium begonnen und konnte diesen Ärger ebenso wenig brauchen wie Ben.
»Sach ma, fangt doch an zu heulen, ihr Memmen!«, rief Hannes. »Die Scheißtürken haben eins aufs Maul verdient, so is dat doch! Bei uns zu Hause hätten die wat auf die Fresse gekriegt, und fertich!«
»Ach ja?«, rief Martin. »Und wie willst du mit fünf Leuten hundert Türken ›wat auf die Fresse geben‹?« Er äffte Hannes’ Ruhrpott-Dialekt verblüffend gut nach.
Der Dortmunder sprang von seinem Stuhl auf. »Gleich krisse wat …«
»Schluss jetzt!«, sagte Gerd scharf. »Es hat wirklich keinen Sinn, dass wir uns hier gegenseitig fertigmachen. Hannes hat eine Bierdose geworfen, das ist ja wohl noch kein Landfriedensbruch. Und dass Willi einem der Türken ein Schild aus der Hand gerissen hat, kann man auch nicht gerade als Angriff bezeichnen. Die Türken sind mit Messern auf uns losgegangen, das wissen auch die Bullen. Wenn wir jetzt keinen Scheiß bauen, müssen die uns gehen lassen, und wir sind aus dem Schneider. Also reißt euch zusammen, Jungs! Außerdem ist Bens Vater Anwalt und haut uns hier notfalls schon wieder raus!«
Ben spürte, wie die Wut seinen Bauch zusammendrückte. |92| »Das ist nicht mein Vater!«, rief er. »Und es kommt überhaupt nicht in Frage, dass wir uns von dem Schleimer helfen lassen! Lieber geh ich in den Knast!«
Gerd legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Schon gut, tut mir leid, Ben. Hast ja recht. So oder so bin ich sicher, dass wir …«
|93| 14.
Martina Walter trommelte nervös auf das Lenkrad des Mercedes. Jetzt, um kurz nach fünf, herrschte auf allen Ein- und Ausfallstraßen dichter Berufsverkehr. Verdammt! Sie wusste, dass sie wahrscheinlich nicht viel machen konnte, aber sie wollte unbedingt so schnell wie möglich zum Polizeipräsidium, von wo aus Ben sie vor einer halben Stunde angerufen hatte.
In was war der Bengel da wieder hineingeraten! Landfriedensbruch! Ausgerechnet Ben, der immer so zart, so liebevoll war. Der eine Fliege am Fenster mit Glas und Papier einfing und in die Freiheit entließ, anstatt sie totzuschlagen.
Wenn wenigstens Jochen etwas unternehmen würde! Sie hatte ihn vorhin am Flughafen erreicht und ihn gebeten herzukommen, aber natürlich waren ihm die Parteibonzen wichtiger als sein Stiefsohn, Adoption hin oder her. Martina konnte ihn beinahe verstehen. Auch sie sah in Bens Verhalten eine pubertäre Trotzreaktion, ein Auflehnen gegen die elterlichen Konventionen. Und einen stummen Protest gegen Martinas Entscheidung.
Ben hatte es nie verwunden, dass sie seinen Vater verlassen hatte. Jochen hatte wirklich alles getan, um den Jungen wie seinen Sohn anzunehmen. Er hatte es mit Geschenken versucht, mit gemeinsamen Ausflügen, Kinobesuchen und Sportveranstaltungen. Aber Ben hatte die Sturheit und Ausdauer von Lennard geerbt. Je mehr Jochen versucht hatte, seine Zuneigung zu gewinnen, desto mehr Ablehnung hatte er erfahren. Also hatte er irgendwann aufgegeben.
|94| Martina war immer mehr verzweifelt. Ihrer Ehe mit Jochen hatte der permanente Konflikt nicht gerade gutgetan. Es war, als laste ein Fluch auf ihr, seit sie aus Hamburg weggezogen war.
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