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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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Aber sie hatte Lennards Trübsinn einfach nicht mehr ausgehalten. Er war innerlich zerbrochen, als man ihn unehrenhaft aus dem Polizeidienst entlassen hatte. Sie aber wollte glücklich sein. Und sie hatte sich für Ben so sehr eine intakte Familie gewünscht, einen Vater, zu dem er aufblicken konnte.
    Nichts davon war eingetroffen. Im Gegenteil: Sie hatte es gründlich vermasselt. Und jetzt ruinierte der Junge auch noch seine Zukunft, indem er sich vor den Augen der Polizei mit Türken prügelte. All das war allein ihre Schuld.
    Sie blinzelte die Tränen aus den Augen und unterdrückte den Impuls zu hupen. Ihr Vordermann konnte ja auch nichts dafür, dass die Ampel schon wieder rot war.

|95| 15.
    Der ICE rollte in den Bahnhof ein und hielt schließlich an. Die Tür öffnete sich zischend. Kenichi Tanaka kletterte die zwei Stufen hinab auf den Bahnsteig und sah sich um. Die Architektur des Karlsruher Bahnhofs wirkte fremdartig, irgendwie klobig. Nirgendwo das kleinste bisschen Eleganz. Die Treppenstufen waren zu hoch, die Bahnsteige zu breit, die Menschen laut, rücksichtslos und unfreundlich. Deutschland war so – ungehobelt. Er konnte einfach nicht verstehen, wie es seine Tochter schon so lange hier aushielt, fern ihrer Heimat, wo sie hingehörte. Aber der Mensch gewöhnte sich wohl an alles. Fast alles.
    Er konnte die Schrift auf den Schildern nicht lesen, aber es war nicht weiter schwierig, aus dem Bahnhof herauszufinden. Er gelangte auf einen Vorplatz, von dem aus Straßenbahnen und Busse abfuhren, die beruhigend vertraut aussahen. Tanaka gab sich jedoch nicht der Illusion hin, sich hier zurechtfinden zu können. Nichts war leichter, als sich in einer fremden Stadt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu verfahren.
    Die kränklich weißen Fahrzeuge mit den gelben Schildern, die dort in einer Reihe standen, waren offenbar Taxis. Er warf einen Blick auf den Fahrer des ersten Wagens, ging rasch an ihm vorbei und öffnete die Tür des nächsten Autos.
    Der Fahrer sagte etwas auf Deutsch und deutete auf den Wagen vor sich. Dessen Fahrer, ein Chinese, war inzwischen ausgestiegen und hatte den Kofferraum geöffnet. Er ging auf Tanaka zu und streckte seine Hand nach dem Koffer aus.
    |96| »Nimm die Finger weg, du chinesischer Tölpel!«, rief Tanaka auf Japanisch.
    Der Fahrer machte ein erschrockenes Gesicht. Er war jung, ein Student wahrscheinlich. Die Chinesen verbreiteten sich ja inzwischen wie Ungeziefer über die ganze Welt.
    Tanaka war hin- und hergerissen zwischen seiner Abneigung gegenüber dem Nachbarvolk und der Einsicht, dass er mit seinen bescheidenen Englischkenntnissen kaum eine längere Diskussion mit den beiden Taxifahrern führen konnte, falls die überhaupt Englisch sprachen. Wenn er heute noch bei seiner Tochter ankommen wollte, blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als in das Auto des Chinesen einzusteigen.
    Er warf dem Fahrer einen warnenden Blick zu, der über alle Sprachbarrieren hinweg klarmachte, dass er die Finger von Tanakas Gepäck lassen sollte. Er konnte den Koffer mit Leichtigkeit selbst hineinheben – bloß weil er vor kurzem seinen 75. Geburtstag gefeiert hatte, war er schließlich noch längst kein schwacher Greis. Seine Aktentasche mit den Unterlagen, die er für Keiko mitgebracht hatte, behielt er bei sich.
    Der unangenehme Geruch des Chinesen erfüllte das Auto. Tanaka versuchte, möglichst wenig zu atmen. Er gab dem Mann einen Zettel, auf dem die Adresse in deutschen Buchstaben ausgedruckt war. Seine Tochter hatte sie ihm per E-Mail geschickt.
    Der Chinese nickte, startete den Motor und fuhr los.
    Eine Mischung aus Vorfreude und Anspannung erfüllte Tanaka. Er hatte seine Tochter seit fünf Jahren nicht gesehen, als sie das letzte Mal in Kobe gewesen war. Er hatte ihr nie ganz verziehen, dass sie einen Ausländer, einen Gaijin, geheiratet hatte, und sich lange geweigert nach Deutschland zu kommen. Doch schließlich hatte seine Sehnsucht |97| nach ihr und den Enkelkindern seinen Stolz besiegt, und er hatte ihre Einladung angenommen.
    Er bemerkte den Blick des jungen Chinesen im Rückspiegel. Er wusste, dass die Narben in seinem Gesicht auf viele Menschen angsteinflößend wirkten. Der harte, kalte Ausdruck war zum Teil seinen verkümmerten Gesichtsmuskeln geschuldet, zum Teil aber auch den Verwundungen seiner Seele.
    Der Blick des Mannes fragte nach der Ursache für die Entstellungen. So war es immer.
    Tanaka spürte, wie die Erinnerung versuchte, aus dem Gefängnis auszubrechen,

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