Schwarzer Regen
in das er sie eingemauert hatte. Seine Gedärme begannen sich zu verkrampfen, und Schweiß trat auf seine Stirn. Er griff in die Jackentasche, um die Pillendose hervorzuholen, doch sie war nicht da. Verdammt! Er hatte sie in die Seitentasche des Koffers gesteckt.
Er kämpfte gegen die Angst an, die immer stärker wurde. Sein Puls raste, sein Atem ging schneller.
Es hatte keinen Sinn. Er wies den Fahrer an anzuhalten, damit er an seinen Koffer gelangen konnte.
Der Mann sah ihn verständnislos an.
Tanaka begriff, dass er japanisch geredet hatte. In seiner aufkeimenden Panik hatte er ganz vergessen, dass der Kerl Chinese war. Er wiederholte die Anweisung auf Englisch, wobei er ein Beben seiner Stimme nicht unterdrücken konnte. Zwar sprach er Mandarin besser als Englisch, aber er würde sich nie dazu herablassen, einem Dienstboten gegenüber dessen Sprache zu benutzen.
Er war sich nicht sicher, ob der Chinese ihn verstanden hatte, aber der Wagen hielt. Der Fahrer sprang heraus, um seinem Gast die Tür zu öffnen.
Tanaka kletterte aus dem Auto. Seine Knie waren weich. Die Übelkeit überwältigte ihn fast. Das Gefühl der Bedrohung |98| war so stark wie lange nicht mehr. Mit zitternden Fingern kramte er die Pillen aus der Seitentasche seines Koffers hervor und nahm gleich zwei auf einmal.
Er machte ein paar Schritte bis zur Ecke eines Hauses. Dort lehnte er sich gegen die Wand und atmete tief ein und aus, um die Panikattacke niederzukämpfen.
Der Chinese stand neben seinem Taxi und beobachtete ihn besorgt.
|99| 16.
»Ist das geil hier!« Timo stand am Rand des Flachdachs und blickte über die Stadt, eine Bierflasche in der Hand. Nur ein niedriger Vorsprung trennte ihn von einem fünfzehn Stockwerke tiefen Sturz in den Tod.
»Geh da nicht so nah ran!«, mahnte Leon, der immer unsicherer wurde, ob das Ganze eine gute Idee gewesen war. Normalerweise war die Tür, die hier hinaufführte, immer abgeschlossen – nur Wartungstechniker und der Schornsteinfeger durften auf das Dach. Leon hatte den Schlüssel von seinem Vater geklaut, der als Hausmeister für die Wohnungsgesellschaft arbeitete. Eigentlich hatte er nur Lisa mit hier hinaufnehmen wollen, um sie zu beeindrucken. Der Ausblick war wirklich grandios – die ganze Stadt lag einem zu Füßen. Es gab nur wenige Gebäude in Karlsruhe, die noch höher aufragten. Als Lisa das gesehen hatte, war ihr spontan die Idee mit der Party gekommen. Da hatte sich Leon nicht getraut, nein zu sagen.
Nun stand er ziemlich verzweifelt zwischen zwei Dutzend Schülern, von denen er nur die Hälfte kannte. Ein wackliger Grill verströmte den Geruch von verbranntem Fleisch. Thomas’ Ghettoblaster dröhnte so laut, dass Leon jeden Moment damit rechnete, einer der Hausbewohner unter ihnen werde die Polizei rufen. Er würde einen Riesenstress mit seinen Eltern kriegen. Am meisten Sorge jedoch bereiteten ihm die vier Kisten Bier. Wenn einer von seinen Freunden besoffen über die Dachkante stolperte …
Er hob die Arme. »Leute!«, rief er. »Leute, hört mal zu!« Doch niemand beachtete ihn.
»Pass doch auf, Blödmann!«, rief ein hübsches Mädchen, |100| das kaum vierzehn sein konnte. »Jetzt ist die Wurst in die Glut gefallen!«
»Na und?« Frank zuckte mit den Schultern. Er war immer von Mädels umschwärmt. »Das gibt ein besseres Aroma!«
»Echt Klasse, deine Party, Leon!« Lisa legte eine Hand auf seinen Arm. »Ich glaube nicht, dass ich jemals an einer so coolen Location gefeiert habe.«
Er wandte sich zu ihr um und sah in ihre tiefblauen Augen. »Echt?«
Sie lächelte und beugte sich etwas vor, wie um ihm einen Kuss zu geben. Jetzt oder nie, dachte er.
|101| 17.
»Das Feuer … in deinen Augen … das brennt so heiß wie … so heiß wie … Sag mal, Achim, was reimt sich auf ›Augen‹?« Georg Rohlfs, besser bekannt unter seinem Künstlernamen George Daniels, drehte sich zu seinem Freund um, der sich neben ihm auf der Sonnenliege am Pool räkelte. Die Villa, die Rohlfs letztes Jahr gekauft hatte, lag am Hang eines der nördlichsten Hügel des Schwarzwaldes und bot einen herrlichen Blick auf die Rheinebene und Karlsruhe, das von hier oben allerdings schmutzig und grau wirkte.
»Was?«, murmelte Achim verschlafen.
»Was reimt sich auf ›Augen‹? Mir fällt nur ›saugen‹ ein, aber das passt irgendwie nicht.«
»Och Mensch, Schorsch, kannst du diese blöden Texte nicht mal einen Moment sein lassen? Du hast mich mitten aus einem schönen Traum gerissen!«
»Ach
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