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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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Shizuma.“ Neben mir auf der Plattform stand
die Besitzerin der Takahashi-Wollkämmerei. „Herr Shizuma“, sagte sie und strich
sich eine Haarsträhne zurück, „hier ist zwar nicht der Ort, über so etwas zu
reden, aber wir brauchen noch Ihr Dienstsiegel unter den Papieren, die Sie
neulich für uns fertiggemacht haben, und da...“ Drei Meter links von dem
stehenden Zug sah ich einen Ball aus blendend grellem Licht, und im gleichen
Augenblick stürzte ich in völlig undurchdringliche Finsternis. Im nächsten
Moment wurde der schwarze Schleier, in den ich eingehüllt schien, von Gekreisch
und Schmerzensschreien zerfetzt. Rufe, wie „Aussteigen!“ und „Lassen Sie mich
durch!“, Flüche und andere Laute vermengten sich zu einem unbeschreiblichen
Wirrwarr. Die Fahrgäste stürzten aus dem Abteil, ich wurde auf der anderen
Seite des Zuges von der Plattform gedrängt und auf die Gleise geschleudert. Ich
landete auf etwas Weichem, es schien der Körper einer Frau zu sein. Dann fiel
jemand mit Wucht auf mich, immer mehr Körper häuften sich zu beiden Seiten auf.
Ich stieß einen Schrei aus, gemischt aus Schmerz und Wut, und genauso brüllte
mir ein Mann, dessen Kopf gegen meinen gerammt war, in einem groben Dialekt
etwas ins Ohr. Während Schreie und Stöhnen ringsumher immer lauter wurden,
schüttelte ich die ab, die auf mir lagen, und kam mühsam auf die Füße. Mit
aller Gewalt schob ich mich vorwärts, schubste andere aus dem Weg, bis ich
schließlich mit dem Rücken gegen etwas Hartes stieß, was sich als
Bahnsteigkante erwies; da gebrauchte ich die Ellenbogen und kletterte hoch.
Hier übertönten die Schmerzensschreie alles. Ich hielt die Augen geschlossen,
mein Körper war in eine Menschenwoge eingekeilt. Ich machte einen Schritt
vorwärts und dann noch einen und wurde wieder gegen etwas Hartes gedrückt. Als
ich merkte, daß es ein Pfeiler war, klammerte ich mich daran, ohne recht zu
wissen, weshalb. Ich schlang die Arme fest darum, wurde aber weiter
erbarmungslos hin- und hergerissen und gestoßen. Einmal warf man mich nach
rechts, gleich aber wieder nach links, wobei ich oft fast den Halt verlor.
Dabei wurden mir jedesmal die Arme gequetscht, Körper und Kinn gegen den Pfeiler
gedrückt, es schmerzte, als würden die Schultergelenke brechen. Eigentlich
brauchte ich nur loszulassen und wieder in die Menschenwoge zu sinken, aber
jedesmal, wenn die Woge gegen mich anbrandete, klammerte ich mich verzweifelt
an den Pfeiler, um nicht fortgespült zu werden. Zuerst dachte ich, die B-29
hätte eine Giftgasbombe abgeworfen, die uns blendete, und der Zug hätte einen
Volltreffer erhalten.
    Allmählich wurde es still um mich herum. Langsam
und voller Furcht versuchte ich die Augen zu öffnen. Alles in meinem Blickfeld
schien von einem hellbraunen Nebel verhangen, weißes, kreideartiges Pulver fiel
vom Himmel. Keine Menschenseele auf dem Bahnsteig. Trotz des Aufruhrs, der noch
vor einem Augenblick geherrscht hatte, war jetzt nicht einmal ein Bahnbeamter
im Stationsgebäude zu sehen. Ich mußte wohl beträchtlich länger mit
geschlossenen Augen an dem Pfeiler geklebt haben, als ich annahm. Dutzende von
elektrischen Drähten hingen lose von dem Mast herunter. Mir fiel ein, daß sie
schrecklich gefährlich sein konnten. Deshalb nahm ich eins von den überall
herumliegenden Brettern und verband zwei Drähte miteinander, es gab aber keinen
Kurzschluß. Trotzdem mied ich die Stellen, wo sich Drähte kreuzten, und schob
sie mit dem Brett beiseite, als ich über einen Zaun aus alten Schwellen
kletterte, um aus dem Bahnhof herauszukommen. Es erschütterte mich, daß jedes
Haus in der Umgebung des Bahnhofs dem Erdboden gleichgemacht war, weithin sah
man nur ein wogendes Meer von Dachziegeln. Ein paar Häuser von der Station
entfernt, schleuderte eine junge Frau im heiratsfähigen Alter Ziegel von sich,
so rasch sie nur danach greifen konnte. Ihr Oberkörper ragte aus einem
Schutthaufen heraus, und sie kreischte mit schriller Stimme. Vielleicht wollte
sie „Hilfe“ schreien, aber der Ton, der herauskam, war kein menschlicher Laut
mehr.
    „He, junge Frau, klettern Sie doch raus da!“
rief ihr ein alter Mann, der Gesichtszüge eines Europäers hatte, im Vorbeigehen
zu. „Man kann ja nicht ran, wenn Sie so mit Steinen schmeißen.“ Dabei versuchte
er, sich ihr zu nähern, aber das Mädchen warf nun die Ziegel nach ihm, und er
machte sich rasch davon. Sie mußte unterhalb der Hüfte von einem Balken oder
etwas anderem

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