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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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dasselbe zum Frühstück essen wie damals am 6. August. Ich kann
mich noch genau erinnern, was wir an dem Morgen hatten, ganz genau.“
    „Was war es denn?“
    „Wäßrige Brühe mit Muscheln und entölte Sojabohnen
anstelle von Reis. Das war alles. Nur sechs kleine Muscheln für drei Personen, denk mal. Yasuko und ich hatten sie am Tag vorher aus dem
Sand unter der Miyuki-Brücke gebuddelt.“
    Ja, er erinnerte sich daran: kleine Muscheln,
mehr Haut als Fleisch, und ziemlich durchsichtig, und er hatte ganz ernsthaft
murrend zu Shigeko gesagt, daß sogar die Muscheln an Unterernährung litten.
    „Was die Familie zu essen bekommt, ist doch
deine Sache als Hausfrau. Also schreib es auf, ja? Morgen, wenn du kannst. Es
bleibt sich gleich, ob du es in Form von Notizen machst oder als Brief...“ Er
schwieg. „Für heute hab ich genug. Ich geh schlafen.“
    Der nächste Tag war ein Feiertag im
Bauernkalender, und Shigematsu ging daran, die Ackergeräte und Werkzeuge in
Ordnung zu bringen, wie das die Tradition vom Vorstand eines ackerbautreibenden
Haushalts verlangte. Er wusch die Spaten, Hacken und Brechstangen und hämmerte
neue Keile in die Stiele. Äxte und Sicheln wurden abgezogen, Sägen geschränkt.
Er schärfte auch die Reiserntesicheln und rieb sie mit Rapsöl ein. Dann jätete
er das Unkraut in der Umgebung des Familienschreins, der in einer Gartenecke
stand, und um das Maß voll zu machen, begab er sich noch zur „Andachtsübung“ an
Shokichis Teich. Darüber verstrich ein halber Tag.
    Yasuko, die zum Friseur in die Stadt gefahren
war, um sich Dauerwellen machen zu lassen, kam gegen fünf nach Hause und
erstrahlte in ungewöhnlicher Schönheit. Shigeko hatte inzwischen ihren Bericht
verfaßt, den sie „Kriegsbeköstigung in Hiroshima“ nannte. Sie hatte ihn mit
Pinsel und Tusche auf handgeschöpfles Papier geschrieben. Er lautete
folgendermaßen:
     
    Kriegsbeköstigung in Hiroshima
    Ich möchte etwas über die Ernährungslage in
Hiroshima vor dem Bombenabwurf erzählen, aber zunächst muß ich wohl ein wenig
unser Alltagsleben und das Verhalten der Leute schildern.
    Durch die Anordnungen über die
Lebensmittelerfassung waren Reis, Reisersatz, Fisch und Gemüse rationiert.
Bekanntmachungen über die Zuteilungen und andere Meldungen wurden entweder an
das Anschlagbrett im Wohnbezirk geklebt oder auf der Ortsnachrichtentafel von
Familie zu Familie gegeben. Die Nachrichtentafel war besonders wichtig und
diente dazu, amtliche Anordnungen bis in den letzten Winkel zu tragen. Die
Behörden müssen dem sehr viel Bedeutung beigemessen haben. Um diese Art der
Nachrichtenverbreitung richtig wirksam werden zu lassen, wurde durch Film und
Schallplatte ein Lied über den Geist der Nachbarschaftsvereinigung verbreitet.
An die erste Strophe erinnere ich mich noch, die ging so:
     
    Leise,
leise klopft es an.
    Wer
ist da wohl an der Tür?
    Nur
der gute Nachbar ist’s
    mit
der Nachricht fürs Revier.
    Gib
das Brett nur weiter schnell,
    Neues
bringt es täglich dir.
     
    An Zuteilungstagen stellten sich jedesmal viele
Leute schon lange vor der Öffnungszeit an der Verteilungsstelle an. Was einen
nicht wundern konnte, denn die Lebensmittelknappheit war wirklich unsagbar.
Mitunter bildete sich sogar eine Schlange vor einem der gewöhnlichen Läden, an
denen wegen Warenmangel stand: „Geöffnet, aber kein Verkauf“. Und es kam vor,
daß einer ganz hinten zu seinem Vordermann sagte: „Entschuldigen Sie, was gibt’s
denn hier eigentlich?“ Und die Antwort lautete: „Weiß der Himmel, ich hab keine
Ahnung, irgendwas wird’s schon geben.“ Es war so wenig von allem da, daß man
froh war, nur irgend etwas zu ergattern, ganz gleich,
was. Alles wurde aufgehoben, nicht mal ein einfaches Stück Papier traute man
sich wegzuwerfen. Das Geld hatte an Wert verloren. Manchmal fuhr ich auf die
Bauernhöfe vor der Stadt, um Gemüse zu kaufen, aber die Bauern hatten wenig
Lust, gegen Geld etwas abzugeben, lieber wollten sie Kleidungsstücke. Natürlich
fingen Mittelsmänner und Einzelhändler an, krumme Geschäfte zu machen und die
Verordnungen zu umgehen; Schieber und Schwarzmarkthändler nannte man sie verächtlich.
Das Wort „schwarzer Markt“ war ein ganz typisches Produkt der Kriegszeit, ich
hasse es und kann es nie hören, ohne an die Entbehrungen jener Zeit zu denken.
    Die Zuteilung an Grundnahrungsmitteln wie Reis
und Gerste betrug zuerst 3,1 Go (1 Go etwa 200 g). Aber es dauerte nicht lange,
bis ein ziemlicher Anteil an

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