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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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ganz feines Papier aus einem englischen Wörterbuch;
„Dünndruckpapier“ nannte man das. Im Krieg und in der Zeit danach haben wir in
unserem Haus ein ganzes Taschenwörterbuch aufgeraucht.
    In den letzten Kriegsjahren mußte jeder Haushalt
in unserer Nachbarschaftsvereinigung wild wachsende Pflanzen als zusätzliche
Nahrung verwenden. Familien mit kleinen Kindern warteten immer darauf, daß die
verschiedenen Brombeersorten neue Triebe bekamen. Man konnte sie sammeln, die
Schale abziehen und den Kindern als Nachmittagsimbiß geben. In manchen Familien
gab man ihnen auch Knöterichschößlinge. Man fand die Pflanzen an den Ufern des
Ota-Flusses oder am Rande der Stadt. Und wer in einem Betrieb arbeitete, konnte
Kollegen von außerhalb bitten, ihm solche Pflanzen mitzubringen. Überall
bestanden die Zwischenmahlzeiten der Kinder hauptsächlich aus getrockneten
Bohnen, und die wild wachsenden Pflanzen waren einfach eine Abwechslung. Man
konnte auch jemand, der außerhalb wohnte, bitten, Sauerampfer zu sammeln. Wir
legten ihn dann über Nacht in Salzwasser und verwendeten ihn als eingelegtes
Gemüse oder auch als Hauptgericht zusammen mit unserem Reisersatz.
    Schilfwurzeln, Miere, Gänsefuß (das dürften
nicht die wissenschaftlichen Bezeichnungen sein) ließen wir kurz aufkochen,
würzten sie mit Sojasoße oder brieten sie als Beilage. Gemüse, wie Möhren oder
Klettenstengel, wurden als Delikatesse angesehen. Kindern, die unterernährt
waren oder zum Bettnässen neigten, gab man die Maden aus Feigen oder Früchte
eines bestimmten Strauches in Sojasoße gedünstet. Diese Maden sind eigentlich
Larven des Bockkäfers. Als ich als Kind noch auf dem Lande lebte, kam im Sommer
immer ein Holzfäller und verkaufte solche Larven, und manchmal wurden mir
welche gegen Würmer gegeben. Ich erinnere mich, daß sie ganz angenehm
schmeckten. Die Frau eines Nachbarn, die wegen der veränderten Lebensumstände
an Kopfschmerzen litt, nahm immer ein paar Ameisenlöwen in einem Schälchen
kaltem Sake ein. Sie meinte, das helfe ihr sehr.
    Eigentlich wollte ich aufschreiben, wie der
Kriegsspeisezettel unserer Familie wenigstens für eine Woche aussah, weil ich
aber in der Küche Tag für Tag dasselbe tun mußte, ist in meinem Kopf alles
durcheinander, und ich kann mich nicht genau entsinnen. Ich glaube fast, nicht
mal die Köche in den führenden Hotels in Tokio — im Hotel Imperial etwa — können
noch genau angeben, was auf ihrer Speisekarte bei Kriegsende stand. Es heißt,
daß damals die Gesandten der Länder der Großostasien-Wohlstandssphäre und
Mitglieder verschiedener mit dem Außenministerium verbundener Organisationen im
Imperial wohnten. Ich möchte wissen, was die zu essen bekamen. Jedenfalls
bestand unsere Kost in Hiroshima während der letzten Kriegsjahre zum größten
Teil aus Reis mit Sojabohnen und ausgepreßten Sojabohnen, in Sojasoße ohne
Zucker gekocht. Tierisches Eiweiß außer Fisch war so gut wie unerreichbar.
Anstelle von Tee hatten wir Kirschblütenknospen, die in Salz eingelegt wurden.
    An Holzkohle und ähnliches war auch schlecht
heranzukommen. Wir wärmten uns im Winter zu Haus, indem wir flache Steine oder
Fliesen auf dem Herd erhitzten, wenn wir kochten, sie in alte Zeitungen und in
Stoff wickelten und uns dann in den Rücken schoben. Saßen wir auf japanische
Art, legten wir sie zwischen die Beine, und saßen wir auf dem Sofa, legten wir
sie unter die Füße, um uns warm zu halten. Wenn die Steine abkühlten, nahmen
wir die Zeitungsschichten Lage um Lage ab, um auch das letzte bißchen Wärme
auszunutzen, und wenn sie ganz kalt waren, legten wir sie zurück in den Herd
und gebrauchten sie von neuem.
    Als Seife verwendeten wir das Zeug, das uns
zugeteilt wurde und aus Reiskleie und Ätznatron bestand, oder wir kauften
Seifenleim schwarz.
    Mitunter löschten wir auch das Feuer im Herd,
sobald wir mit Kochen fertig waren, und sammelten die halbverbrannten
Kohlestücken. Wenn wir genug beisammen hatten, zermahlten wir sie zu Pulver,
vermischten es mit etwas Lehm und Kleister, um es zu binden, und formten daraus
Bälle. Die benutzten wir wieder als Feuerung, sobald sie getrocknet waren. Wenn
Zahnputzpulver nicht zu haben war, nahmen wir Salz. Ach ja — und wenn es mal
eine Zuteilung Zwiebeln gab, dann aßen wir sie nicht, sondern pflanzten sie aus
und schnitten die Schalotten ab für die Suppe.
    Damit möchte ich meine Skizze über die
Ernährungslage in Hiroshima während des Krieges beenden. Ich meine,

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