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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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schienen Hitze und Licht chemische Veränderungen
hervorzurufen, wenn sie auf Metall trafen. Oder waren die Raupen und die
Azaleen vom Haus oder einem anderen Gegenstand beschattet worden, als die Bombe
explodierte? Die Reispflanzen in den offenen Reisfeldern hatten anscheinend
unter dem Blitz gelitten. Vermutlich würden sie morgen früh auch schwarz sein.
    Ich wusch mein kleines Handtuch in einem Graben
am Rande des Bambushains aus, wischte mir die rechte Wange und den Nacken,
spülte wieder das Handtuch, wrang es aus und spülte es, wrang es aus und wusch
es und wiederholte diese sinnlose Tätigkeit immerzu. Das Handtuch auszuwringen
war das einzige, was ich im Augenblick nach Belieben tun konnte. Meine linke
Wange schmerzte jetzt heftig. Ein Schwarm von Elritzen tummelte sich im Graben,
und im stillen Wasser einer kleinen Ausbuchtung wuchsen eine Menge Rohrkolben.
Hier ist Schatten, schienen sie zu sagen, hier ist Sicherheit... Aus der Tiefe
des Bambushains trieb Rauch herüber. Um die Sache zu ergründen, spähte ich
durch die Bambusstämme und sah eine Gruppe von Flüchtlingen, die sich aus
grünem Bambus und Zweigen ein Schutzdach gebaut hatten und Essen kochten. Ihre
Häuser waren wohl auch abgebrannt, und sie richteten sich darauf ein, die Nacht
im Freien zu verbringen. Ich spitzte die Ohren, um etwas aus ihren Gesprächen
zu erfahren. Nach dem, was sie sagten, hatten die Häuser entlang der
Hauptstraße alle dicht gemacht, um sich die Flüchtlinge vom Halse zu halten. In
einem Gemischtwarenladen an der Strecke nach Kabe, diesseits des
Mitaki-Bahnhofs, hatte man eine Frau gefunden, die unbemerkt hineingekommen und
in einem Vorratsraum gestorben war. Als der Ladenbesitzer den Leichnam
herauszerrte, sah er, daß sie den besten Sommerkimono seiner Tochter angezogen
hatte. Wie er nun empört den Kimono von der Leiche riß, war sie darunter nackt.
Sie mußte vom Feuer aus ihrem Haus vertrieben worden sein und war den ganzen
Weg ohne Kleider geflohen, aber als junge Frau hatte sie nach etwas gesucht, um
ihre Nacktheit zu verbergen, noch ehe sie Wasser oder Nahrung suchte. Die
Flüchtlinge fragten sich, ob man solche Bomben wie heute auch auf andere Städte
außer Hiroshima werfen würde. Wozu waren wohl Japans Schlachtschiffe und die
Armee da, meinten sie. Es wäre nicht verwunderlich, wenn noch ein Bürgerkrieg...
    Ich schlich mich leise durch den Bambus zurück,
sagte: „Los, weiter!“, und machte mich fertig. Ich hatte stechende Schmerzen in
den Zehen. „Los doch!“ trieb ich sie an. Aber weder Shigeko noch Yasuko gaben
Antwort. Sie schienen völlig erschöpft. „Na, ich geh jedenfalls“, sagte ich
scharf. Widerstrebend standen sie auf und nahmen ihre Sachen. Beim Gehen taten
mir die Zehen so weh, daß ich fast tanzte vor Schmerz. Die Frauen klagten auch
über diese Schmerzen. Ich war heute schon sechzehn oder siebzehn Kilometer
gelaufen, meine Frau vielleicht acht oder neun und Yasuko acht. Wir aßen
unterwegs gedörrten Reis. Wir griffen in den Stoffbeutel, den meine Frau trug,
nahmen eine Handvoll heraus, steckten sie in den Mund und kauten beim
Weitergehen. Allmählich bildete sich Zucker, und es schmeckte süß, das war
besser als Wasser oder Gurke. Am wirkungsvollsten schien es, beim Gehen zu
kauen; ich verstand jetzt, warum die Reisenden in früheren Zeiten immer
getrockneten Reis als Wegzehrung mitgenommen hatten. Man schluckte schließlich
den zerkauten Reis hinunter, nahm wieder eine Handvoll aus dem Stoffbeutel und
steckte ihn sich in den Mund. Gedörrter Reis sieht ja nicht gerade appetitlich
aus, aber in meinem Herzen dankte ich der Familie meiner Frau, die uns den Reis
geschickt hatte.
    Auf der Hauptstraße wimmelte es von
Flüchtlingen. Wie die Leute im Bambushain gesagt hatten, waren Türen und
Fensterläden an allen Häusern an der Straße fest geschlossen. Auch die Tore an
den überdachten Einfahrten hatte man verrammelt. Draußen vor einer Einfahrt mit
verriegeltem Tor lag ein angesengtes Bündel Stroh. Ob vorüberziehende
Flüchtlinge es angesteckt hatten? So weit wir auch gingen, überall an der
Straße waren die Häuser verschlossen. Hier wehte eine kühle Brise, nicht zu
vergleichen mit dem heißen Atem der Stadt, und sanft wogten die Halme auf den
Reisfeldern. Die Patres von der katholischen Kirche an der Nordseite des
Bahnhofs Yamamoto liefen in großer Eile mit einer Tragbahre an uns vorüber. Zu
ihnen gehörte ein Priester, ein schon älterer Mann, den ich im Zug nach Kabe
oft

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