Schwarzer Regen
Vorbeigehen rief: „Wegen einer technischen Störung hat der
Zug hier längeren Aufenthalt.“ Daraufhin verließen wieder ein paar Leute den
Zug durch das Fenster. Eine Gruppe, offenbar eine Familie, half sich
gegenseitig heraus; man hörte noch: „Das Kind, wenn Sie so freundlich sein
würden“, und von den Leuten drinnen wurde ihnen ein Kind in die ausgestreckten
Arme gereicht. Immer noch drängten sich Menschen durch das Gewühl nach draußen. Dadurch bekamen wir beträchtlich mehr Platz, und
Passagiere, die bislang geschwiegen hatten, machten verschiedentlich Anläufe zu
einer Unterhaltung. Ohne Ausnahme sprachen sie von der Bombe. Jeder erzählte,
was er selbst gesehen oder gehört hatte, ohne es mit den Erlebnissen anderer in
Verbindung zu bringen; selbst wenn man sich ihre Geschichten zusammensetzen
wollte, war es unmöglich, ein vollständiges Bild von der Katastrophe zu
bekommen. Trotzdem habe ich einiges davon hier festgehalten, soweit ich mich
noch daran erinnere.
Der Mann in den Vierzigern rechts neben mir hatte
Verbrennungen auf der linken Gesichtshälfte, die Haut hatte sich völlig
abgeschält. Er war weit schwerer verletzt als ich. Sogar die Augenbrauen waren
abgesengt. Seine Augen lagen ungewöhnlich tief — so tief, daß sie
wahrscheinlich nur deswegen unversehrt geblieben waren. Er hatte mich hin und
wieder von der Seite angesehen und sagte dann plötzlich: „Wo hat es Sie
erwischt, wenn ich fragen darf?“
„Auf dem Bahnhof in Yokogawa“, antwortete ich.
„Ich bin aus Fukushima-cho“, sagte er. „Ich kam
gerade aus dem Luftschutzbunker, als es passierte.“
Er war noch einmal zurückgegangen, um seine
Zigaretten und Streichhölzer zu holen, die noch im Bunker lagen, und beim
Herauskommen hatte er plötzlich einen Blitz gespürt und danach nichts mehr um
sich herum gesehen. Wie er jedoch bald merkte, konnte er Arme und Beine noch
bewegen, und so hatte er sich irgendwie bis zum Vordereingang des Hauses
vorgetastet. Ob er gegangen oder gekrochen war, wußte er nicht mehr so recht.
Als erstes begriff er, daß er wieder sehen konnte und daß das Haus völlig
zusammengestürzt war. Er vermutete, es habe einen Volltreffer abbekommen. Seine
kleine Tochter, die noch in die Unterstufe ging, und seine Frau hatte man nach
Kobe evakuiert, aber seine ältere Tochter, die die Städtische Mädchenoberschule
besuchte, war beim Arbeitseinsatz in Nakajima Hommachi; sie sollte dort beim
Einreißen von Häusern helfen, um Brandschneisen zu schaffen. Um ihr Schicksal
besorgt, war er losgelaufen, aber nur bis zur Fukushima-Brücke gelangt, als ein
Bekannter namens Yoda ihm von der anderen Seite schon entgegengelaufen kam.
„Wie sieht’s bei dir zu Hause aus?“
„Alles dem Erdboden gleich. Ich mach mir um
meine Tochter Sorgen — ich will nach Nakajima Hommachi, wo sie arbeitet.“
„Das darfst du nicht — nein! Alle Mädchen von
der Städtischen Oberschule sind ums Leben gekommen, wirklich. Willst du dein
eigenes Leben aufs Spiel setzen und in die Feuersbrunst rennen?“
„Es tut mir leid, aber ich muß weiter...“ Und er
hatte versucht, an Yoda vorbeizurennen. Aber es war sinnlos. Wohin er auch
blickte, loderten Flammen.
„Du darfst nicht — nein! Weg von hier!“ rief
Yoda und zerrte ihn an der Hand, und so gab er es auf und floh mit ihm bis nach
Koi-machi.
Yoda hielt sich in seinem Haus in Temma-cho auf,
als die Bombe fiel; er hatte keine sichtbaren Verwundungen, blutete aber am
Mund. Der Mann mit den tiefliegenden Augen sah ihm in den Mund und stellte
fest, daß zwei Zähne fehlten. Er hätte kalte Hände und Füße, klagte er. Woran
er sich die Zähne ausgeschlagen habe? Er hätte sie sich nicht ausgeschlagen,
sagte er — sie seien wie fortgeblasen. Eigenartig, daß es nicht aufhören wollte
zu bluten... Yoda hatte Verwandte in Koi-machi. Sie schauten bei ihnen vorbei,
und die Verwandten legten ihm gerade eine in Rapsöl getränkte Kompresse auf die
verbrannte Wange, als Yodas Vetter auftauchte mit schweren Verbrennungen auf
dem Rücken. Er war während der Explosion in Temma-cho gewesen. Sein Rücken sah
rot und höckrig aus, wie der Kamm eines Truthahns, und die Haut hatte sich wie
ein Stück Pergamentpapier abgepellt.
„Das muß ja furchtbar weh tun“, hatte Yoda zu
ihm gesagt. Nein, es sei nicht schmerzhaft, hatte er geantwortet, aber wenn es
zu trocken wurde, spannte das Fleisch, und dann fühlte er ein Stechen. Auch ihn
konnte man nur mit Rapsöl behandeln.
„Ich möchte
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