Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
Vom Netzwerk:
geworden, es regnete, und die Scheinwerfer der Autos spiegelten sich verzerrt auf dem nassen Asphalt. Keine guten Bedingungen, um der Zickzack fahrenden Gestalt zu folgen. Er griff flink nach seinem iPhone und aktivierte das App »Verkehrsinfo«, dann zoomte er mit Daumen und Zeigefinger auf den nächsten Stau. Sechzehn Minuten später setzte der Motorroller seine Passagierin in der Rue d’Alsace-Lorraine ab und fuhr sofort weiter. Espérandieu parkte den Wagen im Halteverbot, klappte die Sonnenblende mit der Aufschrift » POLIZEI « herunter und stieg aus. Sein Instinkt sagte ihm, dass diesmal etwas im Busch war. Ihm fiel ein, dass er seinen Fotoapparat auf dem Beifahrersitz vergessen hatte, er fluchte, eilte zurück, um ihn zu holen, und spurtete anschließend los, um sein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
    No panic:
Margot Servaz ging in der Menge langsam vor ihm her. Im Gehen schaltete er den Fotoapparat an und prüfte, ob er funktionierte.
    Sie bog auf die Place Esquirol ein. Die beleuchteten Vitrinen und die Girlanden beschienen die Bäume und die alten Fassaden. So wenige Tage vor Weihnachten herrschte hier großes Gedränge. Das kam ihm sehr zupass, denn so lief er nicht Gefahr, entdeckt zu werden. Plötzlich sah er, wie Margot unvermittelt stehen blieb, sich umblickte und dann in die Brasserie du Père Léon hineinging. Espérandieu spürte, wie all seine Warnlampen aufleuchteten: So verhielt sich niemand, der nichts zu verbergen hatte. Er legte einen Schritt zu und ging bis zu der Kneipe, in der sie verschwunden war. Er stand vor einem Dilemma: Er war Margot schon einige Male begegnet. Wie würde sie reagieren, wenn er direkt hinter ihr ins Lokal trat?
    Durch das Fenster sah er, wie sie sich auf einen Stuhl fallen ließ, nachdem sie einen Kuss auf die Lippen ihres Gegenübers gedrückt hatte. Sie strahlte. Espérandieu sah, dass ihr die Worte des Mannes gegenüber ein fröhliches Lächeln entlockten.
    Dann wanderte sein Blick zu ihm.
Oh, verdammt!
     
    An diesem kalten Dezemberabend betrachtete er das Streumuster der Sterne über den Bergen und die Lichter der Mühle, die sich wie freundliche Vorboten der bevorstehenden Gemütlichkeit im Wasser spiegelten. Schneidender Wind peitschte ihm die Wangen, und der Regen ging wieder in Schnee über. Als die Tür der Mühle aufging und ihr Eigentümer vor ihm stand, sah Servaz, wie dessen Miene erstarrte.
    »Herrgott! Was ist denn mit dir passiert?«
    Da sich Servaz im Krankenhaus in einem Spiegel betrachtet hatte, wusste er, dass er zum Fürchten aussah. Erweiterte schwarze Pupillen und blutunterlaufene rote Augen, die eines Christopher Lee in
Dracula
würdig gewesen wären, der Hals blau bis an die Ohren, die Haut um die Lippen und Nasenlöcher gereizt durch die Reibung der Plastiktüte und eine schreckliche, bläulich rote Schramme, wo die Schnur in seinen Hals eingeschnitten hatte. Seine Augen tränten wegen der Kälte oder der nervösen Anspannung.
    »Ich habe mich verspätet«, sagte er mit heiserer Stimme. »Wenn du erlaubst, komme ich erst mal rein. Es ist kalt heute Abend.«
    Er zitterte noch an allen Gliedern. Drinnen musterte ihn Saint-Cyr besorgt.
    »Mein Gott, komm hier lang und wärm dich erst mal auf«, sagte der alte Richter, während er die Stufen zum großen Wohnzimmer hinunterstieg.
    Wie beim letzten Mal war der Tisch gedeckt. Ein helles Feuer knisterte im Kamin. Saint-Cyr zog einen Stuhl heran, und Servaz setzte sich. Er griff nach einer Flasche und schenkte ihm ein Glas ein.
    »Trink und lass dir Zeit. Bist du sicher, dass es geht?«
    Servaz nickte. Er trank einen Schluck. Der Wein hatte eine tiefrote, fast schwarze Farbe. Er war stark, aber ausgezeichnet. Zumindest für Servaz, der kein großer Kenner war.
    »Somontano«, sagte Saint-Cyr. »Ich besorge ihn auf der Südseite der Pyrenäen, in Nordaragonien. Also, was ist passiert?«
    Servaz erzählte es ihm. Im Geist kehrte er immer wieder in die Ferienkolonie zurück, und jedes Mal durchzuckte ihn ein Adrenalinstoß wie eine Fischgräte, die man in den Schlund einer Katze rammt. Wer hatte versucht, ihn zu strangulieren? Er ließ den gestrigen Tag noch einmal Revue passieren. Gaspard Ferrand? Elisabeth Ferney? Xavier? Aber Xavier war ihm zu Hilfe gekommen. Es sei denn, der Psychiater wäre im letzten Moment vor dem Mord an einem Polizisten zurückgeschreckt? Gerade noch wurde Servaz schrecklich misshandelt, und im nächsten Moment stand Xavier schon neben ihm. Und wenn es sich um dieselbe

Weitere Kostenlose Bücher