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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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stehen.
    Suchen Sie das Weiß,
hatte Propp gesagt.
    Er ließ den Blick langsam durch das Zimmer gleiten. Die Wände waren weiß. Ein Wohnzimmer, das in einem kalten, nüchternen Stil möbliert war. Modern. Er versuchte, sich so unvoreingenommen wie irgend möglich ein Bild von der Person zu machen, die hier lebte. Ihm fiel nichts ein. Er hatte den Eindruck, die Wohnung eines Gespensts zu betrachten. Er näherte sich dem Dutzend Bücher, die zwischen Sportpokalen auf einem Regal standen, und schreckte zusammen. All diese Bücher behandelten ähnliche Themen: Sexualverbrechen, Gewalt gegen Frauen, die Unterdrückung der Frau, Pornographie und Vergewaltigung. Ihm wurde schwindlig.
Er näherte sich der Wahrheit …
Er betrat die Küche. Plötzlich bewegte sich etwas zu seiner Rechten. Ehe er reagieren konnte, spürte er, dass ihn etwas am Bein berührte. In panischem Schrecken machte er einen Satz nach hinten, sein Herzschlag setzte aus. Ein langes Miauen, und der Kater flüchtete sich in eine andere Ecke der Wohnung.
Verdammt, du hast mir eine Heidenangst eingejagt!
Servaz wartete, bis sein Herzklopfen nachließ, dann öffnete er die Wandschränke. Nichts Auffälliges. Er bemerkte lediglich, dass Irène Ziegler, anders als er, ihre Vorräte streng hygienisch lagerte. Er durchquerte das Wohnzimmer in Richtung Schlafzimmer. In einem der Zimmer – da, wo die Tür offen war – standen ein Schreibtisch, ein quadratisches Bett und ein stählerner Aktenschrank. Nacheinander zog er die Schubladen auf. Akten. Steuerbescheide, Stromrechnungen, Kurse an der Gendarmeriehochschule, Mietquittungen, Arztrechnungen, verschiedene Abonnements … Auf dem Nachttisch englische Bücher.
The Woman-Identified Woman, Radical Feminism – a Documentary History.
Er schreckte zusammen, als sein Handy in der Tasche vibrierte.
    »Irgendwas gefunden?«, fragte Espérandieu.
    »Bis jetzt nichts. Tut sich was?«
    »Nein, sie ist noch drin. Hast du daran gedacht, dass sie vielleicht nicht allein wohnt? Wir wissen nichts über sie, verdammt!«
    Servaz war wie vom Donner gerührt. Espérandieu hatte recht. Er hatte sich nicht einmal die Frage gestellt! In der Wohnung gab es drei geschlossene Türen.
Was war dahinter?
Zumindest hinter einer musste noch ein Schlafzimmer sein. Das, in dem er sich gerade befand, schien nicht benutzt zu werden. Beim Betreten der Wohnung hatte er keinen Lärm gemacht, und es war fast zwei Uhr morgens, Tiefschlafzeit. Sein Magen krampfte sich zusammen – er verließ das Zimmer und blieb wie angewurzelt vor der Tür des Nebenzimmers stehen. Er spitzte die Ohren. Kein Geräusch. Er drückte sein Ohr an die Tür. Nichts. Nur das Rauschen seines eigenen Blutes. Schließlich legte er die Hand auf die Klinke und drückte sie ganz langsam nach unten.
    Ein Schlafzimmer … ein ungemachtes Bett …
    Es war leer. Sein Herz raste schon wieder. Er sagte sich, dass das vielleicht an seiner miserablen Kondition lag. Er müsste ernsthaft in Betracht ziehen, ein bisschen Sport zu treiben, wenn er nicht eines Tages an einem Herzschlag sterben wollte.
    Die beiden letzten Türen führten ins Badezimmer und zum WC . Nachdem er sie geöffnet hatte, kehrte er in das Schlafzimmer zurück, in dem der Schreibtisch stand. Er zog die drei Schubladen auf. Nichts, bis auf Kugelschreiber und Kontoauszüge. Dann fiel ihm ein Farbfleck unter dem Schreibtisch auf. Eine Straßenkarte. Sie musste vom Schreibtisch auf den Boden gefallen sein. Wieder vibrierte das Handy in seiner Tasche.
    »Sie ist rausgekommen!«
    »Okay. Fahr ihr nach. Und ruf mich an, wenn ihr noch einen Kilometer weit weg seid.«
    »Was machst du?«, sagte Espérandieu. »Verzieh dich, Herrgott!«
    »Ich hab vielleicht was gefunden.«
    »Sie ist schon losgefahren!«
    »Hol sie ein. Beeil dich! Ich brauche fünf Minuten.«
    Er legte auf.
    Er machte die Schreibtischlampe an und bückte sich, um die Karte aufzuheben.
     
    Es war 2 : 02  Uhr, als Espérandieu Irène Ziegler in Begleitung einer anderen Frau aus dem Pink Banana hatte kommen sehen. In ihrer Motorradkombi und ihren schwarzen Lederstiefeln glich Ziegler einer faszinierenden Amazone, während ihre Nachbarin einen seidig glänzenden weißen Blouson mit Pelzkragen über einer enganliegenden Jeans und geschnürten weißen Stiefeln mit hohen Absätzen trug. Sie schien einer Illustrierten entstiegen. Sie war so brünett wie Ziegler blond, und ihre langen Haare fielen auf den Pelzkragen hinunter. Die beiden jungen Frauen steuerten

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