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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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auf die Spur dieser Jugendlichen geführt, nur um zu beweisen, dass
er
die Fäden in der Hand hält. Das schmeichelte seinem Hochmut. Seiner gewaltigen Eitelkeit. Offenbar hast du es ihm ziemlich angetan.«
    Servaz runzelte leicht die Stirn. War das wirklich Saint-Cyr, der hier sprach? Für einen kurzen Moment glaubte er, Lombard vor sich zu haben. Dann blinzelte er, um den Schweiß loszuwerden, der ihm in den Augen brannte, und sehr wohl saß da noch der Richter am selben Platz. Saint-Cyr zog ein Handy aus der Hosentasche und wählte eine Nummer.
    »Lisa? Hier Gabriel … Anscheinend hat deine kleine Schnüfflerin sonst mit keinem geredet. Sie hatte nur Zeit, Martin zu verständigen. Ja, ich bin mir sicher … Ja, ich hab die Situation vollkommen unter Kontrolle …«
    Er legte auf und wandte sich wieder Servaz zu.
    »Ich werde dir eine Geschichte erzählen«, sagte er. Servaz hatte den Eindruck, dass ihn seine Stimme aus den Tiefen eines Tunnels erreichte. »Die Geschichte eines kleinen Jungen, der der Sohn eines tyrannischen, gewalttätigen Vaters war. Eines sehr intelligenten kleinen Jungen, eines wunderbaren Jungen. Jedes Mal, wenn er zu uns kam, hatte er einen Strauß Blumen dabei, die er am Wegrand gepflückt hatte, oder Kiesel, die er am Wildbach aufgelesen hatte. Meine Frau und ich hatten keine Kinder. Das heißt, es war für uns ein Geschenk des Himmels, ein Lichtblick, als Eric in unser Leben trat.«
    Saint-Cyr machte eine Geste, die wohl die Erinnerung auf Distanz halten sollte, damit die Gefühle ihn nicht überwältigten.
    »Aber da stand eine Wolke am blauen Himmel. Erics Vater, der berühmte Henri Lombard, verbreitete um sich Angst und Schrecken, in seinen Fabriken wie in seinem Haus – also in dem Schloss, das du ja kennst. Manchmal gab er sich gegenüber seinen Kindern zärtlich und liebevoll, dann wieder terrorisierte er sie mit seinen Wutanfällen, seinem Geschrei – und den Schlägen, mit denen er ihre Mutter vermöbelte. Die Atmosphäre im Schloss hat Eric und Maud verständlicherweise zutiefst verstört.«
    Servaz versuchte zu schlucken, aber es gelang ihm nicht. Er wollte sich bewegen. Wieder läutete lange das Telefon in seiner Tasche, ehe es verstummte.
    »Damals wohnten meine Frau und ich in einem Haus im Wald unweit des Schlosses, am selben Wildbach«, fuhr Saint-Cyr unbeirrt fort. »Henri Lombard mochte ein argwöhnischer, paranoider Tyrann, ja ein regelrechter Irrer sein, aber er hat das Anwesen nie eingezäunt und mit Kameras überwacht, wie es heute der Fall ist. Das gab es damals nicht. Auch nicht diese Bedrohungen und all diese Verbrechen. Trotz allem lebte man noch in einer menschlichen Welt. Kurz, unser Haus war eine Zuflucht für den jungen Eric, und er verbrachte häufig ganze Nachmittage bei uns. Manchmal brachte er Maud mit, ein hübsches Kind mit traurigen Augen, das fast nie lachte. Eric mochte sie sehr. Schon mit zehn Jahren schien er sich in den Kopf gesetzt zu haben, sie zu beschützen.«
    Er machte eine kurze Pause.
    »Mein Beruf nahm mich sehr in Anspruch, und ich war nicht oft da, aber seit Eric in unser Leben getreten war, habe ich versucht, mir möglichst viele freie Augenblicke zu gönnen. Ich war immer glücklich, wenn ich ihn auf dem Weg auftauchen sah, der vom Schloss zu unserem Haus führte, allein oder mit seiner Schwester im Schlepptau. Eigentlich habe ich die Rolle übernommen, die sein Vater nie erfüllt hat. Ich habe diesen Jungen großgezogen, als wäre er mein eigener Sohn. Er ist mein ganzer Stolz. Mein größter Erfolg. Ich habe ihm alles beigebracht, was ich wusste. Er war ein außergewöhnlich empfängliches Kind. Der einem hundertfach zurückgab, was man ihm gab. Schau dir nur an, was aus ihm geworden ist! Nicht nur dank des Firmenimperiums, das er geerbt hat. Nein. Dank meiner Erziehung, dank unserer
Liebe.
«
    Zu seiner Bestürzung bemerkte Servaz, dass der alte Richter weinte – die Tränen liefen über sein durchfurchtes Gesicht.
    »Und dann passierte diese Geschichte. Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem Maud gefunden wurde, nachdem sie sich an dieser Schaukel erhängt hatte. Von da an war Eric nicht mehr derselbe. Er hat sich verschlossen, ist trübsinnig und hart geworden. Er hat sich verbarrikadiert. Ich vermute, dass ihm das bei seinen Geschäften geholfen hat. Aber das war nicht mehr der Eric, den ich kannte.«
    » WAS  … ist … PASSiert mit …«
    »Maud? Eric hat mir nicht alles gesagt, aber ich glaube, sie ist diesen

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