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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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andererseits mit der Résistance. Mein Vater hat in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren den Lombard-Konzern zu dem gemacht, was er heute ist. Nach dem Krieg hat er ein Geflecht von Beziehungen zu führenden Gaullisten und ehemaligen Widerstandskämpfern geknüpft, die mittlerweile in Schlüsselpositionen gelangt waren. Er war ein bedeutender Industriekapitän, der Gründer eines Imperiums, ein Visionär – aber zu Hause war er ein Tyrann, ein brutaler Vater und Ehemann, gefühlskalt und distanziert. Er war eine imposante Erscheinung: schmal und hochgewachsen und immer schwarz gekleidet. Die Einwohner von Saint-Martin respektierten oder hassten ihn, aber alle hatten Angst vor ihm. Ein Mann, der sich so sehr selbst liebte, dass nichts mehr für die anderen übrig blieb. Nicht einmal für seine Frau oder seine Kinder …«
    Eric Lombard stand auf. Servaz und Ziegler sahen, dass er zu einem Büfett ging. Er nahm ein gerahmtes Foto und hielt es Servaz hin. Dunkle Kleidung, ein makellos weißes Hemd, ein großer, streng dreinblickender Mann, mit funkelnden Adleraugen, einer langen, kräftigen Nase und weißem Haar. Henri Lombard besaß wenig Ähnlichkeit mit seinem Sohn. Er hatte etwas von einem fanatischen Geistlichen oder Prediger. Servaz musste an seinen eigenen Vater denken, ein kleiner Mann von Format, dessen Gesicht sich auf der Fotoplatte seines Gedächtnisses nicht deutlich abzeichnen wollte.
    »Mein Vater führte zu Hause wie auch in seinen Firmen ein Schreckensregiment. Er wandte psychische und sogar körperliche Gewalt gegen seine Mitarbeiter, seine Frau und seine Kinder an.« Servaz bemerkte, dass sich Lombards Stimme verändert hatte. Aus dem modernen Abenteurer, der Ikone der Illustrierten war ein anderer geworden. »Meine Mutter ist mit neunundvierzig Jahren an Krebs gestorben. Sie war seine dritte Frau. In den neunzehn Jahren, die sie mit meinem Vater verheiratet war, hat sie permanent unter seiner Tyrannei, seinen Wutanfällen, seinem Sarkasmus – und seinen Schlägen – gelitten. Auch hat er viele Hausangestellte und andere Mitarbeiter gefeuert. Ich bin in einem Milieu aufgewachsen, in dem Härte eine Tugend ist. Aber bei meinem Vater ging es weit über das annehmbare Maß hinaus. Seine Seele war ein Geisterhaus.«
    Servaz und Ziegler sahen sich an. Beide waren sich bewusst, dass ihnen der Erbe des Industrieimperiums da eine unglaubliche Geschichte aufgetischt hatte: Jeder Gossenjournalist hätte daraus eine Superstory gemacht. Eric Lombard hatte offenbar beschlossen, ihnen zu vertrauen. Warum? Plötzlich begriff Servaz. Im Verlauf der letzten vierundzwanzig Stunden hatte Lombard vermutlich zahlreiche Telefonate getätigt. Servaz erinnerte sich wieder an die schwindelerregenden Summen, von denen er im Netz gelesen hatte, und er spürte, wie ihm ein unangenehmes Kitzeln die Wirbelsäule hinunterlief. Eric Lombard hatte genug Geld und Macht, um an jede beliebige Information zu gelangen. Plötzlich fragte sich der Polizist, ob er nicht parallele Ermittlungen in Auftrag gegeben hatte, Ermittlungen, die nicht nur den Tod seines Pferdes betrafen, sondern auch die offiziellen Ermittler gründlich unter die Lupe nahmen. Das war offensichtlich. Lombard wusste wahrscheinlich genauso viel über sie, wie sie über ihn wussten.
    »Das ist eine wichtige Information«, meinte Ziegler endlich. »Sie haben gut daran getan, uns das mitzuteilen.«
    »Glauben Sie? Ich bezweifle das. All diese Geschichten sind längst begraben. Natürlich ist alles, was ich Ihnen gesagt habe, streng vertraulich.«
    »Wenn das, was Sie sagen, zutrifft«, sagte Servaz, »haben wir ein Motiv: Hass, Rache. Bei einem ehemaligen Mitarbeiter zum Beispiel, einem ehemaligen Geschäftsfreund oder einem alten Feind Ihres Vaters.«
    Lombard schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Wenn dem so wäre, warum so spät? Mein Vater ist schon seit elf Jahren tot.«
    Er wollte gerade etwas hinzufügen, als Irène Zieglers Handy summte. Sie sah auf die Nummer und blickte zu ihnen hoch.
    »Entschuldigen Sie mich.«
    Sie stand auf und ging in eine Ecke des Raumes.
    »Ihr Vater wurde 1920 geboren, falls ich mich nicht irre«, fuhr Servaz fort. »Und Sie 1972 . Er hat Sie ziemlich spät gezeugt, um es milde auszudrücken. Hat er noch andere Kinder?«
    »Meine Schwester Maud. Sie kam 1976 zur Welt, vier Jahre nach mir. Wir stammen beide aus seiner dritten und letzten Ehe. Vorher hatte er keine Kinder. Wieso, weiß ich nicht. Offiziell hatte er meine

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