Schwarzer Schmetterling
der Ermittlungen.«
Lombard starrte ihn lange an. Servaz sah ihm an, dass er zwischen zwei Optionen schwankte: erneute Drohung oder vorläufiger Rückzug. Er entschied sich für Letzteres.
»Ich verstehe. Ich weiß, an wen ich mich wenden muss, um diese Informationen zu erhalten. Danke dafür, dass Sie sich trotz Ihrer Arbeitsbelastung die Zeit für mich genommen haben.«
Er stand auf. Die Unterhaltung war zu Ende. Es gab nichts hinzuzufügen.
Sie nahmen den gleichen Weg, den sie gekommen waren. In den Salons, die vom Flur abgingen, breitete sich die Finsternis aus. Draußen hatte der Wind so stark aufgefrischt, dass die Bäume schwankten und ächzten. Servaz fragte sich, ob es wohl wieder schneien würde. Er sah auf die Uhr: 16 : 40 Uhr. Die Sonne ging unter; die langen Schatten der zu Tierformen zugeschnittenen Buchsbäume erstreckten sich über den Boden. Er warf einen Blick hinter sich, auf die Fassade des Schlosses, und sah an einem der zahlreichen Etagenfenster, dass Eric Lombard ihnen regungslos hinterhersah. Neben ihm standen zwei Männer, darunter besagter Otto. Wieder dachte Servaz an seine Hypothese, wonach über die Ermittler selbst Nachforschungen angestellt wurden. In dem dunklen Rechteck des Fensters wirkten Lombard und seine Handlanger wie Spiegelbilder. Ebenso seltsam, stumm und unheimlich. Kaum dass sie wieder ins Auto gestiegen waren, wandte er sich an Ziegler.
»Was ist los?«
»Gerade hat Rosny-sous-Bois angerufen. Sie haben ihre DNA -Analysen abgeschlossen.«
Er sah sie ungläubig an. Die Proben waren gerade mal vor achtundvierzig Stunden entnommen worden. Keine DNA -Analyse war so schnell fertig, so sehr waren die Labors überlastet! Ein sehr hohes Tier musste die Akte ganz oben auf den Stapel gelegt haben.
»Die meisten der DNA -Spuren aus der Gondel – Kopf- und Körperhaare, Speichel, Nägel – lassen sich Arbeitern und Angestellten des Kraftwerks zuordnen. Aber an einer Scheibe haben sie eine Speichelspur gefunden. Eine Spur, die von jemandem stammt, der mit dem Kraftwerk nichts zu tun – der allerdings in der FNAEG gespeichert ist.
Jemand, der sich dort niemals hätte aufhalten dürfen …
«
Servaz verkrampfte sich. Die FNAEG war die nationale Datenbank für genetische Fingerabdrücke. Eine umstrittene Datenbank: Hier waren die DNA -Profile nicht nur von Vergewaltigern, Mördern und Pädophilen, sondern auch von Personen registriert, die alle möglichen Bagatelldelikte begangen hatten, vom Ladendiebstahl bis zum Besitz einiger Gramm Cannabis. Die Folge: Im Vorjahr waren in der Datenbank 470 492 Profile gespeichert gewesen. Auch wenn diese Datenbank einer sehr strengen richterlichen Kontrolle unterlag, sorgte dieser Auswuchs bei Anwälten und Richtern doch zu Recht für Unruhe. Gleichzeitig hatte diese Tendenz, die Aufnahmekriterien für die Datenbank immer laxer zu fassen, bereits zu einigen spektakulären Festnahmen geführt, denn die Kriminalität lässt sich oft nicht fein säuberlich in bestimmte Schubladen einsortieren: Ein »Richtkanonier« – im Knastjargon ein Vergewaltiger – konnte auch ein Fassadenkletterer oder ein Räuber sein. Und DNA -Spuren, die bei Einbrüchen sichergestellt wurden, hatten auch schon zur Verhaftung von Kinderschändern geführt.
»Wer?«, fragte er.
Ziegler warf ihm einen verunsicherten Blick zu.
»Julian Hirtmann, sagt Ihnen das was?«
In der kalten Luft schwirrten wieder ein paar Schneeflocken. Plötzlich war der Wind des Wahnsinns ins Wageninnere eingedrungen.
Unmöglich!,
schrie es in seinem Kopf.
Servaz erinnerte sich, dass er zur Überstellung des berühmten schweizerischen Serienmörders in die Pyrenäen mehrere Artikel in der
Dépêche du Midi
gelesen hatte. Artikel, die sich ausführlich mit den außergewöhnlichen Sicherheitsvorkehrungen befassten, die bei dieser Überstellung ergriffen wurden. Wie war es Hirtmann gelungen, die Umfassungsmauer um die Klinik zu überwinden, diese Wahnsinnstat zu begehen und anschließend wieder unbemerkt in seine Zelle zu schlüpfen?
»Das kann nicht sein«, schnaufte Ziegler und sprach damit seine eigenen Gedanken aus.
Er starrte sie an, noch immer genauso ungläubig. Dann betrachtete er die Flocken durch die Windschutzscheibe.
»Credo quia absurdum«,
sagte er schließlich.
»Schon wieder Latein«, bemerkte sie. »Soll heißen?«
»Ich glaube es, weil es absurd ist.«
9
D iane saß seit einer Stunde an ihrem Schreibtisch, als plötzlich die Tür auf- und wieder zuging. Sie
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