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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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York. Und, um die Wahrheit zu sagen, bin ich das halbe Jahr auf Geschäftsreise. Ich bin sehr gern hier, vor allem in der Skisaison und im Sommer, um mich meinen Pferden zu widmen. Ich habe noch andere Gestüte, wie Sie vielleicht wissen. Aber hier habe ich den größten Teil meiner Kindheit und Jugend verbracht, ehe mich mein Vater zur Ausbildung fortschickte. Dieses Gebäude mag Ihnen düster erscheinen, trotzdem fühle ich mich hier zu Hause. Ich habe so viel Gutes und Schlechtes erlebt. Aber die schlechten Erfahrungen werden mit der Zeit zu positiven: Da leistet das Gedächtnis ganze Arbeit …«
    Seine Stimme hörte sich zum Schluss wie verschleiert an. Servaz versteifte sich, alle Sinne aufs höchste geschärft. Er wartete, was nun folgen würde, aber es kam nichts mehr.
    »Was meinen Sie mit ›Gutem und Schlechtem‹?«, fragte Ziegler neben ihm mit sanfter Stimme.
    Lombard wischte die Frage mit einer Geste vom Tisch.
    »Völlig unwichtig. All das ist so lange her … Das hat nichts mit dem Tod meines Pferdes zu tun.«
    »Das zu beurteilen ist unsere Sache«, antwortete Ziegler.
    Lombard zögerte.
    »Man sollte meinen, dass das Leben eines kleinen Jungen an einem Ort wie diesem idyllisch war, aber das war es nicht im Entferntesten …«
    »Tatsächlich?«, fragte die Gendarmin.
    Servaz sah, wie der Geschäftsmann sie prüfend ansah.
    »Hören Sie, ich glaube nicht …«
    »Was?«
    »Vergessen Sie es. Das ist nicht von Belang …«
    Servaz hörte, wie Ziegler neben ihm seufzte.
    »Monsieur Lombard«, sagte die Gendarmin, »Sie haben uns mit der Drohung unter Druck gesetzt, dass wir es bedauern würden, wenn wir in diesem Fall nur oberflächlich ermitteln. Und Sie haben uns eindringlich ermahnt, selbst den kleinsten Spuren auf den Grund zu gehen. Wir sind Ermittler, keine Fakire oder Wahrsager. Wir müssen über die Umstände dieses Verbrechens möglichst viel wissen. Wer weiß, ob der Ursprung dieses Gemetzels nicht in der Vergangenheit liegt?«
    »Es ist unsere Aufgabe, Zusammenhänge und Motive aufzuspüren«, fügte Servaz bekräftigend hinzu.
    Lombard fasste sie nacheinander scharf ins Auge, und sie ahnten, dass er im Geiste das Für und Wider abwog. Weder Ziegler noch er rührten sich. Der Geschäftsmann zögerte noch ein wenig, dann zuckte er mit den Schultern.
    »Lassen Sie mich Ihnen von Henri und Edouard Lombard erzählen, meinem Vater und meinem Großvater«, sagte er unvermittelt. »Es ist eine recht erbauliche Geschichte. Lassen Sie mich Ihnen sagen, wer Henri Lombard wirklich war. Ein eiskalter Mann, hart wie Stein, von unbeugsamer Strenge. Gewalttätig und egoistisch. Ein Ordnungsfanatiker wie sein Vater.«
    Irène Ziegler stand die Verblüffung ins Gesicht geschrieben, und Servaz hielt den Atem an. Lombard stockte erneut. Eine Zeitlang starrte er sie an. Die beiden Ermittler warteten schweigend ab, wie es weitergehen würde – das Schweigen zog sich in die Länge.
    »Wie Sie vielleicht wissen, hat das Unternehmen Lombard erst während des Zweiten Weltkriegs so richtig floriert. Ehrlicherweise muss man sagen, dass mein Vater und mein Großvater die deutsche Besatzung nicht ungern sahen. Mein Vater war damals erst knapp zwanzig, und mein Großvater hat das Unternehmen von hier und von Paris aus geleitet. Das war eine der wirtschaftlich erfolgreichsten Phasen in der Geschichte des Unternehmens – es machte hervorragende Geschäfte mit seinen Nazikunden.«
    Er beugte sich vor. Seine Geste wiederholte sich im Spiegel hinter seinem Rücken in umgekehrter Richtung – als würde sich die Kopie von dem distanzieren, was das Original sagte.
    »Nach der Befreiung wurde mein Großvater wegen Kollaboration zum Tode verurteilt und später begnadigt. Er war gemeinsam mit anderen Kollaborateuren in Clairvaux inhaftiert. 1952 kam er frei. Er starb ein Jahr später an einem Herzinfarkt. In der Zwischenzeit hatte sein Sohn Henri die Führung übernommen. Er wollte das Familienunternehmen erweitern, diversifizieren und modernisieren. Anders als sein Vater hatte der meine – trotz oder vielleicht auch wegen seines jungen Alters – schon 1943 gespürt, dass sich der Wind drehte, und so hatte er sich der Résistance und dem Gaullismus angenähert. Nicht aus innerer Überzeugung, sondern aus reinem Opportunismus. Er war ein brillanter, weitsichtiger Mann. Seit Stalingrad wusste er, dass die Tage des Dritten Reichs gezählt waren, und er hat es mit beiden Seiten gehalten: einerseits mit den Deutschen und

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