Schwarzer Schmetterling
ihre entsprechenden biometrischen Maßnahmen. Um zur Station A zu gelangen, in der sich die gefährlichsten Insassen befinden, muss man durch eine doppelte Sicherheitsschleuse, die rund um die Uhr von einem Wachmann kontrolliert wird.«
»Haben alle Mitarbeiter Zugang zur Station A?«, fragte Ziegler.
»Selbstverständlich nicht. Nur das für Station A zuständige therapeutische Team, die Pflegedienstleiterin, die beiden Wachleute aus dem vierten Stock, unser Arzt, der Geistliche und ich haben Zutritt. Und seit kurzem auch eine Schweizer Psychologin, die gerade erst angekommen ist.«
»Diese Liste brauchen wir ebenfalls«, sagte Ziegler. »Mit den Befugnissen und den Aufgaben jedes Mitarbeiters.«
»Ist all das computerisiert?«, fragte Servaz.
»Ja.«
»Wer hat das System installiert?«
»Eine private Sicherheitsfirma.«
»Und wer kümmert sich um die Wartung?«
»Dieselbe Firma.«
»Gibt es irgendwo Pläne?«
Der Psychiater schien verunsichert.
»Was für Pläne?«
»Pläne von den elektrischen Anlagen, der Verkabelung, den biometrischen Geräten, vom Gebäude …«
»Ich vermute, dass sie bei der Sicherheitsfirma sind«, äußerte Xavier.
»Wir brauchen ihre Adresse, den Firmennamen und ihre Telefonnummer. Schicken die jemanden zur technischen Überwachung?«
»Sie kontrollieren alles elektronisch aus der Entfernung. Falls es irgendwo eine Panne oder eine Funktionsstörung geben sollte, würden ihre Computer ihnen das sofort melden.«
»Finden Sie das nicht riskant? Dass die Sicherheitsschleusen von außen von jemandem gesteuert werden können, den Sie nicht kennen?«
Xaviers Miene verdüsterte sich.
»Sie können die Türen nicht entriegeln. Und auch die Sicherheitssysteme können sie nicht ausschalten. Sie können lediglich sehen, was geschieht – und ob alles funktioniert.«
»Die Wachleute«, sagte Servaz und betrachtete die beiden Männer, »stammen sie von derselben Firma?«
»Ja«, sagte Xavier, während er den Kontrollposten verließ. »Aber bei einer Krise intervenieren nicht sie bei den Patienten, sondern die Pflegehelfer. Wie Sie wissen, besteht überall die Tendenz zum ›Outsourcing‹, wie man in den Ministerien zu sagen pflegt.« Er blieb mitten in der Halle stehen und sah sie an. »Uns geht es wie allen anderen, wir müssen mit den verfügbaren Mitteln zurechtkommen – und an diesen Mitteln mangelt es mehr und mehr. Im Verlauf der letzten zwanzig Jahre haben sämtliche Regierungen dieses Landes in aller Stille über 50 000 Psychiatrie-Betten geschlossen und Tausende von Stellen gestrichen. Und im Namen von Liberalismus und wirtschaftlichen Zwängen war der Druck auf die Menschen noch nie so hoch wie heute. Es gibt immer mehr psychisch Kranke – Psychotiker, Paranoiker und Schizophrene, die unerkannt herumlaufen.«
Er steuerte einen langen Flur auf der Rückseite der Halle an. Der endlose Korridor schien das gesamte Gebäude der Länge nach zu durchqueren; sie wurden jedoch in regelmäßigen Abständen von Eisengittern aufgehalten, von denen Servaz annahm, dass sie nachts verriegelt wurden. Er sah auch Türen mit Kupferschildern, auf denen die Namen mehrerer Ärzte standen, darunter eines mit dem Namen von Xavier selbst, dann ein weiteres mit der Aufschrift: »Elisabeth Ferney, Pflegedienstleitung«.
»Aber ich vermute, dass wir uns trotzdem glücklich schätzen müssen«, fügte Xavier hinzu, während er sie durch eine zweite Gittertür führte. »Um den Personalmangel wettzumachen, verfügen wir hier über die modernsten Sicherheits- und Überwachungssysteme. Das ist keineswegs die Regel. Wenn man in Frankreich Personalabbau und Mittelkürzungen verschleiern will, benutzt man einfach nebulöse Formulierungen. Das ist semantischer Betrug, wie jemand das vollkommen zu Recht genannt hat: ›Qualitätsinitiative‹, ›jährliches Leistungsaudit‹, ›Pflegekraftdiagnose‹ … Wissen Sie, was das ist, ›Pflegekraftdiagnose‹? Es besteht darin, Pflegekräften einzureden, sie könnten anstelle eines Arztes Diagnosen stellen, wodurch sich natürlich die Zahl der Krankenhausärzte verringern lässt. Ergebnis: Einer meiner Kollegen hat erlebt, wie Pflegerinnen einen Patienten als ›gemeingefährlichen Paranoiker‹ in die Psychiatrie eingewiesen haben mit der Begründung, er sei hochgradig gereizt und habe einen Streit mit seinem Arbeitgeber, den er zu verklagen drohe! Zum Glück für den Ärmsten hat mein Kollege, der ihn in der Klinik als Erstes sah, diese Diagnose
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