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Schwarzer Sonntag

Schwarzer Sonntag

Titel: Schwarzer Sonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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dem Aufseher auf die Nerven. Er schob die Klappe in der Zellentür hoch und beschimpfte Abd el-Awad nach Leibeskräften. Danach schämte er sich ein wenig. Der Mann hatte schließlich das Recht, hin und her zu gehen. Er schob die Klappe noch einmal hoch und gab Awad eine Zigarette, ermahnte ihn aber, sie sogleich auszumachen und zu verstecken, falls er Schritte hörte.
    Awad horchte ohnedies aufmerksam auf jeden Schritt. Bald heute abend, morgen, übermorgen - würde man kommen. Um ihm die Hände abzuhacken.
    Awad, ehemals Offizier der libyschen Luftwaffe, war des Diebstahls und des Handels mit Rauschgift überführt worden. Mit Rücksicht auf seine dem Vaterland geleisteten Dienste war die Todesstrafe in Amputation beider Hände umgewandelt worden.
    Solche Strafen, wie sie der Koran vorsah, waren lange nicht mehr verhängt worden. Erst Oberst Gaddafi hatte sie wieder eingeführt. Immerhin hatte er den Vollzug insofern seinen fortschrittlichen Bestrebungen entsprechend modernisiert, als nicht mehr mit dem Beil auf dem Marktplatz hantiert wurde, sondern Chirurgen im Krankenhaus von Bengasi eine hygienisch einwandfreie Amputation ausführten.
    Awad hatte versucht, seine Gedanken niederzuschreiben. Er hatte seinen Vater brieflich um Entschuldigung bitten wollen für die Schande, die er über die Seinen gebracht hatte, doch wollten sich die rechten Worte nicht einstellen. Er fürchtete, daß er den Brief erst zur Hälfte fertig hatte, wenn man ihn holen kam, und daß er ihn dann so abschicken mußte. Oder daß er ihn mit dem Federhalter im Mund beenden mußte.
    Ob das Urteil wohl unter Betäubung vollstreckt wurde? Ob er sich erhängen konnte, wenn er das eine Hosenbein an der Türangel befestigte, das andere sich um den Hals schlang und sich dann auf den Boden fallen ließ? Seit einer Woche, seit seiner Verurteilung, stellte er solche Überlegungen an. Alles wäre leichter zu ertragen gewesen, wenn man ihm gesagt hätte, wann es geschehen sollte. Aber vielleicht war es ein Teil der Strafe, daß man ihn im ungewissen ließ.
Die Klappe wurde hochgerissen: »Ausmachen! Ausmachen!« zischte der Posten.
Awad trat benommen die Zigarette aus und schob sie mit dem Fuß unter die Pritsche. Er hörte die Riegel, stellte sich der Tür gegenüber auf, die Hände auf dem Rücken, die Fingernägel in die Handflächen gegraben.
Ich bin ein Mann und ein tapferer Offizier, dachte Awad. Das hat man nicht einmal bei der Verhandlung bestritten. Ich will mir jetzt keine Blöße geben.
Ein kleiner, adrett gekleideter Mann betrat die Zelle und sagte irgend etwas. Awad sah, wie der Mund sich unter dem dünnen Schnurrbart bewegte. » ... verstehen Sie mich überhaupt, Leutnant Awad? Es ist noch nicht Zeit für ... Das Urteil wird noch nicht vollstreckt. Aber es ist Zeit für eine ernsthafte Unterhaltung. Bitte sprechen Sie Englisch mit mir. Setzen Sie sich auf den Hocker. Ich setze mich auf die Pritsche.« Der kleine Mann sprach leise und ließ Awad keinen Moment aus den Augen.
Awad hatte sehr empfindsame Hände, die Hände eines Hubschrauberpiloten. Und als man ihm eine Chance bot, diese Hände zu behalten und überdies völlig rehabilitiert zu werden, akzeptierte er ohne Zögern die Bedingungen.
Man verlegte ihn vom Gefängnis Bengasi in die Kaserne von Ajdabujah und machte ihn hier unter strengen Sicherheitsvorkehrungen mit einem russischen Hubschrauber des Typs MIL6 vertraut, einer robusten Maschine, die bei der NATO unter dem Codenamen ›Hook‹ bekannt ist. Die libysche Luftwaffe besaß drei davon. Awad war der Typ bekannt, wenn er selber auch meist kleinere Hubschrauber geflogen hatte. Er kam gut damit zurecht. Die MIL-6 glich zwar nicht im Detail der Sikorsky 5-58, aber die Ähnlichkeit war doch groß. Abends studierte Awad eingehend die aus Ägypten beschaffte Fluganleitung für die Sikorsky. Wenn er mit dem Gashebel und der Steuerung vorsichtig umging und ein wachsames Auge auf den Gesamtauftrieb hatte, würde er im gegebenen Augenblick schon zurechtkommen.
Oberst Gaddafi ist ein streng moralischer Herrscher, und er verhängt die grausamsten Strafen. Deshalb sind in Libyen auch gewisse Vergehen so gut wie ausgerottet. Die edle Kunst der Fälscherei floriert hier nicht mehr. Um für Awad die notwendigen Papiere zu beschaffen, mußte man sich an einen Fälscher in Nikosia wenden.
Awad sollte »chemisch gereinigt« werden - nichts durfte seine Herkunft verraten. Im Grunde brauchte man nur die Einreisepapiere für die Vereinigten

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