Schwarzer Sonntag
Scheißkram zu stürzen, dachte er. Er wünschte, Rachel wäre dagewesen, wünschte, sie wäre mit ihm gekommen, und er glaubte in aller Unschuld, dieses Verlangen hätte nichts mit der triumphalen Begrüßung zu tun, die ihm zuteil wurde. Verdammte Rachel!
Er ging zu einem langen Tisch am Ende der Terrasse, wo Moschevsky mit mehreren ausgelassenen Mädchen saß. Moschevsky hatte eine Batterie Flaschen vor sich stehen und erzählte einen unanständigen Witz nach dem andern. Kabakov war bester Laune, und der Wein hob seine Stimmung noch. Die Anwesenden hatten die verschiedensten Ränge inne, und niemand fand etwas dabei, daß ein Major und ein Sergeant Seite an Seite zechten. Die Disziplin, die die Israelis über die Sinaiwüste getragen hatten, entsprang gegenseitiger Achtung und wurde vom Gedanken an die gemeinsame Sache genährt. Sie war gewissermaßen eine Rüstung, die man bei Gelegenheiten wie hier an der Tür abgeben konnte. Es war eine schöne Party, die Menschen verstanden sich, der Wein war aus Israel, und man tanzte die Tänze des Kibbuz.
Kurz vor Mitternacht entdeckte Kabakov zwischen den wirbelnden Tänzern Rachel. Zögernd stand sie am Rand des Lichtkreises. Sie ging zu dem Baum, unter dem die Paare tanzten, in die Hände klatschten und sangen.
Die Luft spielte auf ihren Armen und streichelte ihre Beine unter dem kurzen Drillichkleid, Luft, die nach Wein und starkem Tabak und frischen Blumen duftete. Sie sah Kabakov, der sich wie Nero an seinem langen Tisch rekelte. Irgend jemand hatte ihm eine Blume hinter das Ohr gesteckt, und er hatte eine Zigarre zwischen den Zähnen. Ein Mädchen beugte sich zu ihm und redete auf ihn ein.
Schüchtern ging Rachel auf seinen Tisch zu, zwischen den Tanzenden hindurch. Ein sehr junger Leutnant ergriff sie und drehte sie nach den Klängen der Musik, und als der Raum nicht mehr wirbelte, stand Kabakov mit weinglänzenden Augen vor ihr. Sie hatte ganz vergessen, wie groß er war. »David«, sagte sie, zu ihm hochblickend. »Ich wollte dir nur sagen ...«
»Daß du etwas zu trinken brauchst«, sagte Kabakov und reichte ihr ein Glas.
»Ich fahre morgen nach Hause ... man sagte mir, du seist hier, und ich konnte doch nicht abfahren, ohne ...«
»Ohne mit mir zu tanzen? Natürlich nicht.«
Rachel hatte früher schon in ihren Kibbuz-Sommern diese Tänze getanzt, und jetzt fielen ihr die Schritte wieder ein. Kabakov besaß ein ausgeprägtes Talent, mit dem Glas in der Hand zu tanzen und sich nachschenken zu lassen, ohne stehen zu bleiben. Sie tranken abwechselnd daraus. Mit der anderen Hand griff er in ihr Haar und zog die Nadeln heraus. Es fiel ihr in einer dunkelroten Flut über den Rücken und umrahmte ihre Wangen. Er staunte über diese Haarfülle. Der Wein erhitzte Rachel, und sie merkte, daß sie beim Tanzen lachte. Das andere, die Verkrüppelten und all das Leid, mit dem sie durchtränkt war, schien plötzlich weit entfernt.
Es war spät geworden. Der Lärm hatte nachgelassen, und viele der Gäste waren gegangen, ohne daß Kabakov und Rachel es bemerkt hatten. Unter dem Baum tanzten nur noch wenige Paare. Die Musiker schliefen, die Köpfe auf einen Tisch neben dem Podium gestützt. Die Tanzenden tanzten jetzt sehr eng. Sie drehten sich nach einem alten Lied von Edith Piaf, das die Musikbox an der Bar spielte. Die Terrasse war übersät mit zertretenen Blumen und Zigarrenstummeln, und überall war Wein verschüttet. Ein blutjunger Soldat sang laut mit, den Fuß im Gipsverband auf einem Stuhl und in der Hand eine Flasche. Es war spät, die Stunde, da der Mond verblaßt und die Gegenstände im Zwielicht Konturen gewinnen. Rachel schwankte, tat einen kleinen Schritt zur Seite, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und ihr Schenkel glitt über seinen, um seinen, suchte Halt. Sie erinnerte sich absurderweise daran, wie sie zum erstenmal die Wange an einen warmen, festen Pferdehals gelegt hatte.
Sie lösten sich langsam voneinander. Der Raum, der sie trennte, wurde größer, und sie traten hinaus ins stille Morgengrauen. Kabakov nahm im Vorbeigehen noch eine Flasche Cognac von einem Tisch. Der Tau auf den Gräsern netzte Rachels Knöchel, als sie den schmalen Pfad zum Berg hinaufstiegen, und sie sahen die Felsen und Sträucher mit der unnatürlichen Klarheit, die auf eine schlaflose Nacht folgt.
Sie setzten sich, lehnten sich an einen Felsen und beobachteten den Sonnenaufgang. Im Licht des klaren Tages sah Kabakov ihre Sommersprossen, die Ränder unter ihren Augen, die
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