Schwarzer Sonntag
starken, vorstehenden Wangenknochen. Er empfand Verlangen nach ihr, aber ihre Zeit in Israel war abgelaufen.
Er küßte sie minutenlang, und seine Hand lag warm unter ihrem Haar.
Aus dem Gebüsch oben kam ein Paar den Weg herab. Das Tageslicht machte sie verlegen, und sie klopften sich die Blätter von den Kleidern. Sie stolperten über die Füße von Kabakov und Rachel, die am Rande des Pfades saßen, und gingen, von den beiden unbemerkt, weiter.
»David, ich bin ratlos«, sagte Rachel schließlich, einen Grashalm zerpflückend. »Das wollte ich nicht, deshalb bin ich nicht ...«
»Ratlos?«
»Ich bin so verwirrt, so durcheinander.«
»Nun, ich ...« Kabakov wollte etwas Nettes sagen, doch dann schnaubte er, ärgerlich über sich selbst. Er mochte sie. Worte waren nichts. Alles nur Gerede. Er redete. »Wir sind doch keine Kinder mehr. Komm mit mir nach Haifa. Ich nehme eine Woche Urlaub. Ich möchte, daß du mitkommst. Von deinen Pflichten reden wir nächste Woche.«
»Nächste Woche. Nächste Woche kann ich vielleicht gar nicht mehr klar denken. Ich habe Patienten in New York. Was würde nächste Woche anders sein?«
»Wir werden zusammen schlafen und in der Sonne liegen und uns in die Augen sehen - dann wäre es bestimmt anders.«
Sie wandte sich schnell ab.
»Bepiß dich nicht.«
»Ich bepisse mich nicht«, sagte sie.
»Dann hör auf, Worte wie ›bepissen‹ in den Mund zu nehmen. Sie passen nicht zu dir.« Er lächelte. Auch sie lächelte jetzt. Verlegenes Schweigen.
»Wirst du wiederkommen?« fragte Kabakov.
»Nicht so bald. Ich muß erst meinen Facharzt machen. Es sei denn, es gibt wieder Krieg. Aber für dich hat er gar nicht aufgehört, nicht einmal für kurze Zeit, nicht wahr, David? Für dich hört er nie auf.«
Er sagte nichts.
»Es ist eigenartig, David. Von Frauen erwartet man, daß sie ihr kleines, unauffälliges Leben führen und sich immer anpassen. Männer haben ihre Pflicht. Was ich mache, ist auch real und wertvoll und wichtig. Und wenn ich sage, es ist meine Pflicht, weil ich es so möchte, dann ist das genauso real wie deine Uniform. Wir werden nicht nächste Woche darüber reden.«
»Gut«, sagte Kabakov. »Geh zu deinen Pflichten.«
»Bepiß dich nicht.«
»Ich bepisse mich nicht.«
»Hör mal, David, es ist nett, daß du mich darum gebeten hast. Wenn ich könnte, würde ich dich darum bitten. Mit mir nach Haifa zu gehen. Oder sonstwohin. Wo wir zusammen schlafen und in der Sonne liegen können.« Eine Pause, dann schnell: »Auf Wiedersehen, Major David Kabakov. Ich werde an Sie denken.«
Und dann lief sie den Pfad hinab. Daß sie weinte, merkte sie erst, als der Jeep schneller fuhr und der Wind die Tränen von ihren kalten Wangen wegfegte.
Tränen, vom Wind getrocknet - vor sieben Jahren, in Israel.
Eine Krankenschwester betrat Kabakovs Zimmer und unterbrach ihn in seinen Gedanken. Lächelnd brachte sie ihm einen Pappbecher mit einer Tablette darin. »Ich gehe jetzt, Mr. Kabov«, sagte die Schwester. »Bis morgen abend also.« Kabakov sah auf seine Uhr. Moschevsky hätte eigentlich schon von der Lodge aus anrufen müssen, dachte er. Es war fast Mitternacht.
In einem Auto, das auf der anderen Straßenseite parkte, saß Dahlia Iyad und beobachtete eine Gruppe von Nachtschwestern, die im Gänsemarsch den Haupteingang des Krankenhauses betraten. Auch sie sah auf die Uhr. Dann fuhr sie davon.
11
A LS K ABAKOV SEINE T ABLETTE NAHM , stand Moschevsky gerade im Eingang zum Boom-Boom, dem Nightclub der Mt. Murray Lodge. Mürrisch betrachtete er die Gäste. Die dreistündige Fahrt durch die Pocono Mountains bei leichtem Schneefall war ziemlich anstrengend gewesen. Er hatte schlechte Laune. Wie erwartet war bei der Rezeption keine Rachel Bauman bekannt. Unten im Speisesaal hatte er sie nicht entdecken können, aber sein suchender Blick hatte den etwas irritierten Oberkellner dreimal veranlaßt, ihm einen Tisch anzubieten. Die Band im BoomBoom spielte reichlich laut, aber nicht schlecht. Das helle Licht eines Scheinwerfers glitt über die Tische, verharrte über jedem eine Weile und glitt dann weiter. Oft winkten die Gäste, wenn der Lichtkreis sie erfaßte.
Rachel Bauman saß mit ihrem Verlobten und einem Ehepaar zusammen, das sie im Hotel kennengelernt hatten. Sie winkte nicht. Sie fand die Lodge häßlich, die Landschaft langweilig, die Pocono Mountains kümmerlich und die Gäste spießig. Es waren meist junge Leute mit billigem Modeschmuck, und da und dort blitzten neue Eheringe auf. Sie war
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