Schwarzer Sonntag
seinen Schulkameraden gezeigt, wer er war, und von da an hatte man ihn in Ruhe gelassen. Fasil besaß ein schnelles Reaktionsvermögen und verfügte über eine erstaunliche Kraft und Gewandtheit. Er kannte weder Furcht noch Mitleid, aber Bosheit kannte er. Fasil war der lebende Beweis für die Fragwürdigkeit der Physiognomik. Er war schlank und sah recht gut aus. Aber er war ein Ungeheuer.
Es war eigenartig, daß ihn nur die primitivsten und die scharfsinnigsten Leute durchschauten. Die Fedajin bewunderten ihn aus der Distanz und priesen sein Verhalten im Gefecht, denn sie erkannten nicht, daß seine Kaltblütigkeit etwas anderes war als Mut. Aber er konnte es nicht wagen, sich unter die Analphabeten und Unwissenden zu mischen, die am Lagerfeuer saßen und Hammelfleisch und Kichererbsen kauten. Diese abergläubischen Männer besaßen einen unverbildeten Instinkt. Sie fühlten sich in seiner Gegenwart bald unbehaglich und rückten unauffällig von ihm ab Wenn er eines Tages ihr Anführer werden sollte, mußte er dieses Problem irgendwie lösen.
Auch Abu Ali hatte ihn durchschaut, dieser schlaue kleine Mann, dieser Psychologe, der sein eigenes Inneres auf langen Umwegen erkundet hatte. Einmal hatte Ali ihm beim Kaffee von einer frühen Kindheitserinnerung erzählt - von einem Lamm, das im Haus herumlief. Danach hatte er Fasil nach dessen frühester Erinnerung gefragt. Fasil hatte erzählt, er erinnere sich noch, wie seine Mutter ein Huhn tötete, indem sie den Kopf des Huhns ins Feuer hielt. Erst als er es ausgesprochen hatte, wurde Fasil klar, daß dieses Gespräch keine harmlose Plauderei gewesen war. Zum Glück hatte Abu Ali ihn nicht bei Hafez Nadscheer anschwärzen können, denn Nadscheer war selbst merkwürdig genug.
Der Tod von Nadscheer und Ali hatte in der Führung des »Schwarzen September« eine Lücke hinterlassen, die Fasil ausfüllen wollte. Aus diesem Grund wollte er möglichst schnell wieder in den Libanon zurückkehren. Es war möglich, daß irgendein Rivale in der Zwischenzeit zu stark wurde. Nach dem Massaker von München hatte sein Ansehen in der Bewegung beträchtlich zugenommen. Oberst Gaddafi hatte ihn persönlich umarmt, als die überlebenden Guerillas in Tripolis eintrafen. Wenn der Anschlag beim Super Bowl-Spiel erfolgreich verlief, wenn Fasil ihn für sich verbuchen konnte, war er der berühmteste Guerilla der Welt, bekannter noch als Ché Guevara. Fasil glaubte, er könne mit der Unterstützung Gaddafis - und der libyschen Staatskasse - rechnen, wenn er danach die Führung des »Schwarzen September« übernahm. Vielleicht konnte er sogar Jassir Arafat als obersten Anführer der El-Fatah ablösen. Fasil war sich durchaus klar, daß alle Männer, die versucht hatten, Arafat abzulösen, den Tod gefunden hatten. Er brauchte Zeit, um sich eine solide Machtstellung zu schaffen.
In New Orleans sein Leben aufs Spiel zu setzen war sinnlos. Ursprünglich hatte er sich ebensowenig wie in München persönlich engagieren wollen. Er hatte keine Angst, aber er war besessen von dem Gedanken daran, was alles er noch erreichen konnte, wenn er am Leben blieb. Ohne das Mißgeschick auf der Leticia wäre er jetzt noch im Libanon gewesen.
Fasil sah ein, daß seine Chancen, in New Orleans mit dem Leben davonzukommen, dem jetzigen Plan nach gering waren. Seine Aufgabe sollte darin bestehen, dem Luftschiff auf dem Lakefront Airport von New Orleans Feuerschutz zu geben, während Lander die Bombe befestigte. Es war nicht möglich, die Bombe an einem anderen Ort an der Gondel festzumachen. Nur auf dem Flugplatz hatte man das Bodenpersonal und den Ankermast zur Verfügung, ohne die es unmöglich war, das Luftschiff ruhig zu halten, während diese Arbeit vorgenommen wurde.
Vielleicht konnte Lander das Bodenpersonal ein paar Sekunden lang täuschen, wenn er behauptete, das Gehäuse erhalte ein neuartiges Zusatzgerät für die Fernsehübertragung, aber diese Finte würde schnell durchschaut sein. Es würde zu einem Kampf kommen, und nach dem Abheben des Luftschiffs würde er, Fasil, allein auf dem Flugfeld stehen, möglicherweise von Polizei eingekreist. Fasil fand nicht, daß diese Rolle seinen Fähigkeiten gerecht wurde. Wenn Ali Hassan nicht auf dem Frachter getötet worden wäre, hätte er diese Aufgabe übernommen. Es war nicht gerechtfertigt, daß ein Mann wie Muhammad Fasil für so etwas sein Leben aufs Spiel setzte.
Wenn es ihn nicht schon am Startplatz erwischte, konnte er versuchen, ein Flugzeug zu
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