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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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drückend, sie wartete auf einen Sturm. Auf dem Bürgersteig lagen Pommes-frites-Tüten verstreut, und vor dem Hinterrad des Arztwagens lag eine zusammengedrückte Dose Sprite.
    Sie fuhren schnell aber vorsichtig zum St.-Mary’s-Krankenhaus mit seiner gefängnisartigen riesigen Ziegelfassade und dem Schlot des Verbrennungsofens.
    Als Ruth aufgenommen wurde, rollten zwei Tränen über Emmas Wange. Sie beherrschte sich eisern und versuchte, ihrem Gesicht einen entschlossenen Ausdruck zu verleihen. Sie saßen lange Zeit in braunen Plastikstühlen auf dem weißen Korridor.
    Krankenschwestern eilten geschäftig hin und her, hielten manchmal inne, um ein paar Worte und sorgloses Gelächter auszutauschen. Eine Tragbahre wurde von zwei gewalttätig aussehenden, Kaugummi kauenden Pflegern vorbeigerollt.
    Dies bildete einen beunruhigenden Kontrast zu den Krankenzimmern, den Körpern, die in gestärkten, weißen Krankenbetten lagen und denen für immer ein Körperteil abgeschnitten worden war, den verborgenen grauen Gestalten, die sich verzweifelt an dem letzten Stückchen Leben festklammerten. Rachaela bedrückte die Krankenhausatmosphäre. Sie hatte Krankenhäuser noch nie leiden können, vielleicht wegen der besessenen Furcht ihrer Mutter. Menschen gingen nicht in ein Krankenhaus, um Heilung zu erlangen, sondern um umgebracht oder verstümmelt zu werden.
    Am liebsten wäre sie einfach nach Hause gegangen und hätte Emma alleine beobachten und warten lassen. Doch das kam überhaupt nicht infrage. Es war unmöglich. Sie, Rachaela, war die verzweifelte Mutter. Sie musste leiden und ihre Rolle spielen.
    Was fühlte sie? Nichts, nichts.
    Es sah Ruth ähnlich, dass sie sie an einen Ort brachte, den sie hasste und verabscheute, und sie hier stundenlang mit nassen Haaren warten ließ.
    Die Scarabae waren niemals krank.
    War Ruth also letztendlich keine echte Scarabae?
    Die Schwester erschien in ihrer blauen Tracht.
    » Hallo, Mrs. Day? Wir tun, was wir können, aber ich fürchte, sie ist ein sehr krankes, kleines Mädchen.«
    Sie wartete zögernd darauf, dass Rachaela weinen oder schreien und klagen würde. Emma brach gehorsam in Tränen aus.
    » Na, na. Bitte versuchen Sie, sich zu beruhigen. Wir haben berechtigte Hoffnung.«
    » Es tut mir leid«, entschuldigte sich Emma, so als ob ihre Tränen sie alle erst recht in Gefahr gebracht hätten. » Ich benehme mich wirklich kindisch.«
    » Ich lasse Ihnen eine Tasse Tee bringen.«
    » Vielen Dank, das wäre sehr freundlich«, sagte Emma.
    Als die Schwester gegangen war, sagte sie: » Sie sind alle so freundlich. Diese Leute sind Heilige. Ich bin sicher, alles wird gut werden.«
    Später ließen sie Rachaela allein nach ihrem Baby sehen.
    Das Zimmer stand voller Apparate, kein Arzt war zu sehen. Dann kam einer herein. » Sie sind Ruths Mutter? Richtig. Nun, ich werde ehrlich zu Ihnen sein. Wir sind sehr in Sorge. Wir werden noch einige Maßnahmen ergreifen müssen, um die Temperatur zu senken, und diese könnten etwas drastisch sein.«
    » Aha«, sagte Rachaela.
    Wahrscheinlich hielt er ihre Gleichgültigkeit für eine Nachwirkung des Schocks. Sie hoffte es. Sie wollte nicht, dass ihr diese Leute in den Roben aus Schnee feindselig gegenüberstanden. Er erzählte ihr noch mehr von seinen geplanten Maßnahmen, verwendete komplizierte Ausdrücke, die sie nicht verstand. In der Halle der Magier sollte sie eine Novizin bleiben.
    Danach kehrte sie zu Emma zurück und gab ihr die gekürzte Version der Unterhaltung wieder.
    Emma war aschfahl. Sie war nicht einmal in der Lage, ihren Tee zu trinken, obwohl sie es versucht hatte, um nicht undankbar zu erscheinen. Sie warteten die ganze Nacht lang auf dem weißen Korridor.
    Um fünf Uhr morgens kam der gestresste Doktor langsam auf sie zu.
    Emma stand auf und griff angespannt nach Rachaelas Hand. Der Doktor zog eine Grimasse. Er sagte, die jüngsten Maßnahmen wären ein Erfolg gewesen, dass Ruths Temperatur gesunken und ihre Atmung freier geworden wäre. In einer halben Stunde könnte Rachaela sich zu ihr setzen.
    Emma weinte wieder. Sie dankte dem Doktor so ernsthaft, dass sein weltliches, ungeduldiges Gesicht angesichts wunderbarer Errettung aufzuleuchten schien.
    Rachaela wurde in einen Raum zu ihrem blassen geretteten Kind geführt. Sie setzte sich. Sie hatte gewollt und gehofft, dass Ruth sterben würde. Es gab keine Veranlassung, sich etwas vorzulügen. Hatte ihre eigene Mutter das auch gewollt? Hatte sie die lebende Rachaela betrachtet,

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