Schwarzer Tod
Reihe der heranrückenden Frauen geriet ins Wanken; doch einige schrien ihren Trotz heraus.
Dann richtete Hauptscharführer Sturm seine Pistole auf die Menge und feuerte dreimal kurz hintereinander.
»Er erschießt Leute!« sagte Rachel.
Die Frauen stieben auseinander und ließen ihre Verwundeten liegen.
Anna zog Rachel die Treppe hinauf und in den Hauptflur. Doch statt sie in ein Untersuchungszimmer zu bringen, schob sie sie in eine dunkle Nische, in der es nach schmutziger Bettwäsche roch.
»Bevor der Platz aufgeräumt ist, müssen Sie in Ihre Barakke zurück«, sagte sie rasch. »Verlangen Sie nicht nach einem Arzt. Die Ärzte hier werden Ihre Verletzungen als Vorwand benutzen, Sie zu töten. Haben Sie das verstanden?«
Rachel starrte sie an.
Anna packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Frau Hagan ist tot! Sie leben! Ohne Sie werden Ihre Kinder sterben! Haben Sie mich gehört?«
Rachel nickte schwach.
»Es ist verrückt!« Annas Stimme besaß einen hysterischen Unterton. »Ich dachte, wir wären alle schon längst tot. Und jetzt das! Gott weiß, was Sturm noch einfallen mag, nach dem, was die Hagan getan hat!«
Sie schob Rachel aus der Nische und führte sie zur Rückseite des Krankenhauses. »Sie wissen, wo Sie sind. Gehen Sie nach links zu den Latrinen, und versuchen Sie, von dort irgendwie in Ihre Baracke zu kommen.« Sie öffnete die Tür und warf einen Blick hinaus. Die Gasse war leer. »Gehen Sie jetzt!« Sie schob Rachel die Treppe hinunter und schloß die Tür.
Rachel ging los.
30
McConnell hatte acht Stunden allein im Keller von Annas Hof gewartet, als er hörte, wie jemand an die Vordertür klopfte. Er drehte die Gaslaterne aus und blieb vollkommen regungslos in der Dunkelheit sitzen. Er wußte, daß es möglicherweise Stern war, der da klopfte, aber Stern war ohne ein Wort losgegangen und sollte gefälligst selbst sehen, wie er wieder hereinkam.
Außerdem war es vielleicht auch gar nicht Stern. Vielleicht hatte eine deutsche Patrouille den jungen Juden ein paar Minuten, nachdem er den Hof verlassen hatte, gefaßt und ihn seitdem gefoltert. Möglicherweise hatte er ja seinen Aufenthaltsort vor zehn Minuten verraten. Das Klopfen war kaum zu hören, wahrscheinlich, weil ein Treppenhaus und eine dicke Tür McConnell von der Küche trennten, und dann war da auch noch der Flur ...
Schließlich hörte das Klopfen auf.
McConnell verzichtete darauf, die Gaslampe wieder anzuzünden. Er holte mehrmals tief Luft und versuchte, seinen Puls zu beruhigen. Er war nicht sicher, ob draußen noch Tag war, aber er vermutete, daß es bereits dunkel war.
Wo steckte Stern bloß?
Nach seinem dramatischen Abgang hatte Anna McConnell durch eine kleine Tür in der Küchenecke in den Keller geführt. Sie waren eine Holztreppe in einen niedrigen Raum hinuntergegangen, in dem schwere Kisten und verrostete Gartengeräte standen. Dort befand sich auch ein Sofa, auf dem einige alte Daunendecken lagen. McConnell holte ihr Gepäck aus dem Flur und schleppte es Stück für Stück die Treppe hinunter. Anna beobachtete ihn dabei mit hoffnungsloser Miene. Sie sagte noch einige unzusammenhängende Worte und fuhr dann nach Totenhausen.
Während der beiden ersten Stunden war McConnell bei jedem Geräusch zusammengezuckt. Er erwartete Sirenen zu hören, Gewehrfeuer oder was auch immer sonst man für einen Alarm auslösen mochte, wenn Stern das Lager vergaste. Als das ausblieb, hatte er Visionen von Stern in den Händen der SS, der versuchte, Gott weiß was für Foltermethoden auszuhalten. Aber als niemand auftauchte, um die Haustür einzuschlagen und ihn zu verhaften, beruhigte er sich so weit, daß er etwas Käse aus ihrem Proviant essen und seine Lage überdenken konnte.
Brigadegeneral Smith war noch viel teuflischer gewesen, als McConnell gedacht hatte. In dem Augenblick, in dem McConnell auf deutschem Boden aus der Lysander geklettert war, war er nur noch Zubehör bei dieser Aktion gewesen; er hatte keinerlei Möglichkeit, Stern aufzuhalten, es sei denn, er tötete ihn oder lieferte ihn der SS aus, und beides machte ihm sein Gewissen unmöglich.
Darauf hatte Smith gesetzt.
Deshalb hockte McConnell jetzt hier im Keller einer verängstigten deutschen Krankenschwester und würde ohne Sterns Hilfe nicht mehr aus Deutschland herauskommen. Die Schwester faszinierte ihn. Sie entsprach so überhaupt nicht dem Bild, das er von einem Spion hatte. War sie es gewesen, die die Sarinprobe herausgeschmuggelt hatte, welche
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