Schwarzer Tod
das Fell hinter seinem mächtigen Hals. Er wünschte sich beinahe, daß Schörner da wäre, um sich die Schau anzusehen.
Rachel ging mit Hannah und Jan über den Appellplatz, als eine gutturale deutsche Stimme sie aufhielt.
»Was hast du da gesagt, Jüdin?«
Sie blieb stehen und blickte in das stets gereizt wirkende Gesicht von Rottenführer Ludwig Grot.
»Wie hast du mich genannt, Judenlaus?« bellte er.
Rachel bemerkte, daß der Rottenführer sehr laut sprach, wie für eine unsichtbare Zuhörerschaft. Sie umklammerte Jan und Hannahs Hände. »Ich habe gar nichts gesagt, Rottenführer. Aber wenn ich Sie beleidigt haben sollte, entschuldige ich mich.«
»Du hast mich allerdings beleidigt, du stinkende Schlampe.«
Rachel brach unter der Gewalt des ersten Schlages zusammen. Sie wußte nicht einmal, was eigentlich passiert war. Es fühlte sich an, als wäre sie, ohne es zu merken, gegen eine eiserne Laterne gelaufen. Als Grot sie in den Bauch trat, wäre sie beinahe ohnmächtig geworden, aber sie zwang sich dazu zu rufen: »Lauft! Kinder, lauft zu Frau Hagan!«
Jan packte Hannahs kleine Hand und zerrte sie zum Frauenblock.
Grot riß Rachel hoch und schlug sie zweimal sehr hart und sehr schnell wie ein Mann, für den Gewalt eine alte Gewohnheit ist. Die rechte Seite ihres Gesichts glühte, als hätte sie sich verbrüht, und die linke fühlte sich einfach nur taub an. Das Bild eines silbernen Totenkopfrings brannte in ihren Augen. Einen Augenblick lang dachte sie an Wolfgang Schörner, doch dann erinnerte sie sich daran, daß er 80 Kilometer weiter weg in Peenemünde war. Heute konnte sie niemand retten. Sie schloß die Augen und betete, daß Frau Hagan für ihre Kinder sorgen würde.
Grot ballte die rechte Faust und schlug Rachel gegen den Kopf, ließ sie auf den Schnee sinken und trat sie dann mit seinen genagelten Stiefeln heftig in die Rippen. Rachel hörte, wie etwas in ihrer linken Seite knackte, und spürte, wie es sich nach innen bog. Doch dann verharrte Grots Stiefel plötzlich mitten in der Luft, als ihn eine weibliche Stimme in einer fremden Sprache anschrie.
Er blickte hoch.
Frau Hagan schritt mit derselben Zuversicht über den Platz, die sie in Auschwitz beim Torfstechen oder in Buna beim Ziegelschleppen gezeigt hatte. Als sie noch zehn Meter von dem SS-Mann entfernt war, redete sie in Deutsch auf ihn ein, winkte mit den Händen und rief, daß Sturmbannführer Schörner unerwarteterweise ins Lager zurückgekommen sei und Grot sofort in seinem Büro sprechen wolle.
Grot richtete sich verwirrt auf. Die Kapo des jüdischen Frauenblocks war zwar eine Gefangene, aber sie hatte eine offizielle Funktion, und sie rief etwas über Sturmbannführer Schörner. Grot drehte sich um und suchte den Blick von Hauptscharführer Sturm, der 40 Meter weiter weg am Fuß eines Wachturms stand.
Während Grot Sturm ansah, legte Frau Hagan die letzten Meter bis zu ihm zurück. Rachel schnappte nach Luft, als sie sah, wie die Polin einen Gartenspaten aus ihrem Kittel zog.
Grot wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um das Blitzen des Metalls zu sehen. Im nächsten Augenblick grub Frau Hagan das Blatt des Spatens bis zum Stiel in seinen Hals. Dann riß sie den Spaten wieder heraus, so daß das Blut wie ein Springbrunnen aus Grots Hauptschlagader sprudelte. Mit. beiden Händen griff Grot nach seinem Hals.
»Dosyg!« brüllte Frau Hagan. »Genug! Scher dich zum Teufel, SS!« Die große Polin nickte Grot trotzig zu.
Der SS-Mann glotzte sie verständnislos aus hervorquellenden Augen an und fiel in einer Blutlache zu Boden.
Frau Hagan kniete sich über Rachel. »Alles in Ordnung, Meisje?«
Rachel konnte kaum atmen, geschweige denn sprechen. Sie hörte Schreie von Wut und Verwirrung im Lager. Niemand konnte so recht fassen, was gerade geschehen war.
»Lauf!« krächzte Frau Hagan. »Lauf weg, solange du noch kannst!«
Ein wildes Kläffen ließ Rachel das Blut in den Adern gefrieren. Aber statt sich vor dem schrecklichen Geräusch zu ducken, hockte Frau Hagan sich hin, drehte sich um und bereitete sich auf den Angriff vor. Rachel sah, wie ihr Gesicht sich in eine wütende Fratze verwandelte; sie zeigte einen Zorn, der sich seit Jahren, vielleicht sogar schon ein Leben lang aufgestaut hatte.
Rudi, Sturms Lieblingsschäferhund, hetzte mit gefletschten Zähnen über den Platz. Schneller als ein Windhund fegte er über den gefrorenen Boden und sprang Frau Hagan aus vier Metern Entfernung an.
Die Blocksprecherin schrie
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