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Schwarzer Tod

Titel: Schwarzer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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russischer Kriegsgefangener gewesen. Er war vollkommen nackt an die Stahlwand gekettet worden. Was mit dem Russen unter den Augen des Schuhmachers geschehen war, als das unsichtbare Gas hereinströmte, hatte ihn beinahe in den Selbstmord getrieben. Und heute nacht war Heinrich Himmler gekommen, um einem solchen Spektakel höchstpersönlich beizuwohnen.
    Ohne weiter darüber nachzudenken, löste sich der Schuhmacher von der Gruppe der Überlebenden und ging zielstrebig in den hinteren Bereich des Lagers. Das Risiko war zwar groß, aber weniger für ihn als für die anderen Insassen. Seine Fertigkeiten, was Lederarbeiten betraf, waren legendär in Totenhausen, Und alle SS-Leute kannten ihn vom Sehen. Er hatte schon für jeden Soldaten im Lager mindestens eine Reparatur erledigt. Ein Stiefel hier, ein Riemen dort, oder ein Paar Pumps für eine Geliebte irgendwo. Das war der Preis für sein Überleben. Wenn ihn jemand aufhielt, würde er behaupten, daß er sich ein paar Schuhe im Krankenhaus ansehen sollte.
    Er ignorierte die Scheinwerfer, trat in den Schatten des Krankenhauses, ging rasch weiter und spähte um die Ecke des dreistöckigen Bauwerks. Der Truppentransporter stand am Eingang der kleinen Gasse, so daß er das Blickfeld des Schuhmachers blockierte. Der Schuhmacher preßte sich zwischen dem Lastwagen und der Krankenhauswand hindurch, bis er etwas sehen konnte.
    Hauptscharführer Sturm hatte die Gefangenen mitten auf der Gasse anhalten lassen. Am anderen Ende standen die grauen Militärwagen des Konvois mit laufenden Motoren. Zwei Dutzend SS-Männer der Leibstandarte Adolf Hitler hatten die Autos bereits umstellt. Mehrere Türen öffneten sich. Männer in feldgrauen Uniformen traten in die eisige Nacht hinaus. Der Blick des Schuhmachers blieb an einem kleinen Offizier haften, der gerade eine Brille abgenommen hatte. Anscheinend waren die Gläser beschlagen, als er aus dem warmen Fahrzeug ausgestiegen war, denn er reichte sie einem Adjutanten, der sie mit einem Taschentuch reinigte und sie dann zurückgab. Als der Mann die Brille wieder aufsetzte, spürte der Schuhmacher, wie seine Hände zu zittern begannen. Er stand weniger als 40 Meter vom SS-Reichsführer Heinrich Himmler entfernt.
    Himmler hörte geduldig zu, während Doktor Brandt ein geheimes Detail der Demonstration erklärte, derer der Reichsführer Zeuge werden sollte. Als sie auf den E-Block zugingen, sah der Schuhmacher, daß eine Seite der Gasse 30 Techniker und Chemiker aus Totenhausens Giftgasfabrik säumten. In ihren weißen Laborkitteln waren sie im Schnee beinahe unsichtbar gewesen. Himmler nickte leutselig, als er an ihnen vorüberschritt. Brandt deutete auf den E-Block, drehte sich dann um und sagte etwas, bevor er bemerkte, daß der Reichsführer nicht mehr neben ihm ging.
    Himmler war stehengeblieben, um sich mit einer der sechs zivilen Krankenschwestern von Totenhausen zu unterhalten. Vier der Frauen waren alte Schlachtschiffe, aber zwei, Greta Müller und Anna Kaas, waren blond, ledig und knapp 30. Der Schuhmacher hatte sie irrtümlich für Techniker gehalten. Himmler schien von Fräulein Kaas ziemlich beeindruckt zu sein. Das war auch kein Wunder. Himmler war mittleren Alters, leicht untersetzt, und hatte kein Kinn, wohingegen Anna als eine von Goebbels Plakatschönheiten für das arische weibliche Ideal hätte posieren können. Brandt stand ungeduldig daneben. Die Krankenschwestern sollten Garnierung sein, keine vollwertige Ablenkung. Schließlich verbeugte sich Himmler kurz und löste sich von Anna Kaas. Brandt führte ihn rasch zur Hintertreppe des Krankenhauses, von wo aus sie den Eingang des E-Blocks beobachten konnten, der direkt auf der anderen Seite der Gasse lag.
    Zwei Lagerscheinwerfer waren dazu umfunktioniert worden, den im Boden eingelassenen Eingang der Kammer zu beleuchten. Himmlers Wächter verrenkten sich neugierig den Hals. Ein gedämpfter Knall schreckte einige von ihnen auf, was bei den SS-Männer aus Totenhausen ein leises Lachen auslöste.
    Sie wußten, daß es nur eine angeschwollene Leiche gewesen war, die geplatzt war, als man sie in die flachen Gräber hinter dem elektrischen Zaun auf der Rückseite des E-Blocks geworfen hatte.
    Die todgeweihten Männer drängten sich zusammen wie eine Herde von Antilopen, die witterten, wie sich Raubtiere um sie scharten. Der Schuhmacher konnte den jungen holländischen Anwalt genau erkennen, der sein Schicksal so stoisch auf sich genommen hatte. Hauptscharführer Sturm befahl

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