Schwarzes Blut: Thriller (German Edition)
an sich. »Mach’s dir nicht so schwer. Das wird schon wieder. Du kannst hierbleiben, solange du willst.«
Seit dem Tod ihrer Mutter hatte keine Frau mehr Skye in die Arme genommen. Die Schwester ihrer Mutter hatte sich um das Adoptivkind gekümmert – allerdings nicht besonders liebevoll. Ein Wangenkuss zum Geburtstag und zu Weihnachten stellte das Maximum ihrer Zuneigung dar. So auf der dicken Blümchendecke auf Mintys großem Bett zu liegen und von der älteren Frau in den Armen gewiegt und gestreichelt zu werden kam Skye daher ebenso tröstlich wie unverdient vor.
Das Zimmer war auf gewisse Weise geradezu aggressiv weiblich: Rüschenkissen, Tapeten mit Rosenblütenmuster, ein Toilettentisch mit geschwungenen Füßen und verschnörkelten Aufklappspiegeln, die an Engelsflügel erinnerten. Der Tisch war mit einem Sammelsurium an Tuben, Cremes, Lippenstiften und Schminkutensilien vollgestellt. Mintys Parfüm und Zigarettenrauch hingen schwer in der Luft.
In dem Augenblick, in dem Minty mit ihrem klapprigen japanischen Kleinwagen vor Genes Haus gehalten hatte – Skye hatte bereits mit dem Rucksack vor den Füßen draußen auf sie gewartet –, war sie sich sicher gewesen, dass er seine Schwester rausgeschmissen hatte, weil sie mit dem Wohnmobiltypen rumgemacht hatte. Skye hatte nicht widersprochen. Was hätte sie Minty auch sonst erzählen sollen? Dass Gene sie vor die Tür gesetzt hatte, weil er Angst hatte, dass sie seinen Sohn ebenso zerfleischen könnte wie die Männer in dem alten Dodge? Oder weil sie damals ihren eigenen Daddy in Stücke gerissen hatte?
»Wie war’s überhaupt mit ihm?«, fragte Minty.
Skye sah zu Minty auf, die sich die Zigarette wieder genommen hatte und mit zusammengekniffenen Augen durch den Rauch zurückstarrte.
»Mit wem?«
»Mit Mr. Brad Pitt, Schätzchen. Dem Sexgott im Wohnmobil.«
»Da ist nichts passiert.«
Minty wedelte abfällig mit ihrer Zigarette, sodass etwas Asche auf die Bettdecke fiel. Sie fluchte und wischte sie mit den lackierten Nägeln beiseite. Skye nutzte die Gelegenheit, um aufzustehen und einen Schluck lauwarmen Kaffee aus der Tasse zu trinken, die neben dem anderen Kram auf dem Toilettentisch stand. Sie setzte sich auf den Hocker davor – das Bett war viel zu bequem. Verführerisch bequem.
Minty hatte endlich die Asche abgewischt, legte sich auf den Bauch, stützte sich auf den Ellbogen auf und strampelte mit den Beinen wie ein Schulmädchen. »Schätzchen, ich bin nicht erst seit gestern auf der Welt. Du und der Schönling allein in dem großen Wohnmobil? Da muss doch was passiert sein.« Sie sog mit geschlossenen Augen an der Zigarette. »Details, Mädel. Ich will Details.«
»Wir haben uns geküsst.«
» Geküsst? Mehr nicht?«
Ach ja, ich hab ihm ein Stück Fleisch aus der Schulter gerissen.
Skye nickte. »Mehr nicht.«
»Hast du Angst gekriegt?«
Skye senkte den Kopf und betrachtete sorgenvoll einen Knopf an ihrer Bluse. Sie nickte.
»Ach Schatz, das ist doch ganz normal. Aber keine Sorge, der Nächste kommt bestimmt. So ein süßes Ding wie du muss sich da keine Gedanken machen.« Minty stand auf. »Ich hol mir einen klitzekleinen Wodka Tonic. Willst du auch einen?« Skye schüttelte den Kopf. »Hmmm, ist vielleicht besser so. Sonst buchtet mich dein gesetzestreuer Bruder noch wegen Verführung Minderjähriger ein.«
Minty verließ den Raum. Skye hörte das Klirren der Flasche und das Schlagen der Eisfachtür. Sie betrachtete sich in den Spiegeln des Schminktischs. Im warmen Licht konnte sie ihr Gesicht viel deutlicher erkennen als in ihrem eigenen gesprungenen Spiegel in Genes Haus. Sie hatte sich verändert. Ihre Augen waren klarer, das Blau leuchtete stärker. Die kleinen Babyspeckpölsterchen auf ihren Wangen und ihrem Kinn waren verschwunden. Ihre Haut schien sich enger über den Knochen zu spannen. Die Pickelansammlung kurz vor dem Haaransatz war ebenfalls nicht mehr zu sehen.
Das liegt wohl an der Ernährungsumstellung, dachte sie. Und hätte fast gelacht.
Das war auch neu, begriff sie. Selbstvertrauen. Nie gekannter Mut. Mit einem Mal hatte sie Timmys schlafendes Gesicht vor Augen. Erinnerte sich an seinen milchigen Geruch, wenn sie ihm den Schlafanzug anzog. Schlagartig war alle Selbstsicherheit verflogen, und vor sich sah sie ein verzweifeltes Leben ohne Liebe.
Als Minty wieder ins Schlafzimmer kam, beugte Skye sich vor, damit ihr Haar ihr Gesicht verdeckte – und die Tränen, die in ihr aufgestiegen waren. Sie tat so, als
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