Schwarzes Blut
brennen, können aber diesen schwarzen Brunnen nicht erleuchten, weil er keinen Untergrund hat.
Das letzte, an das ich mich erinnere, ist ein Sportmantel, der über mich geworfen wird.
Dann geht alles in Schwärze auf.
10.
KAPITEL
Ich stehe auf einer weiten Wiese, von der aus sich viele Hügel erheben. Es ist Nacht, doch der Himmel ist erleuchtet. Nicht die Sonne ist draußen, sondern hundert funkelnd blaue Sterne, jeder einzelne von ihnen in einem langen Fluß von Nebelwolken schimmernd. Die Luft ist angenehm warm, erfüllt vom wohlriechenden Duft tausend unsichtbarer Blumen. In der Ferne bewegt sich ein Menschenstrom auf eine Art Schiff hin, das eingebettet zwischen den Hügeln liegt. Das Schiff ist leuchtend violett; die hellen Strahlen, die von ihm ausgehen, scheinen bis zu den Sternen hinaufzureichen. Mir ist, als wüßte ich, daß es bald ablegt und daß ich auf ihm sein werde. Doch gibt es vor der Abfahrt noch etwas, das ich mit Gott Krishna besprechen muß.
Er steht neben mir auf der weiten Ebene, die goldene Flöte in der Rechten, eine rote Lotosblüte in der Linken. Er trägt einfache Kleider wie ich auch: eine lange, blaue Robe, die bis zum Boden reicht. Doch an einer schlichten Kette um den Hals trägt er ein Juwel, einen strahlenden Edelstein, in dem sich das Schicksal jeder Seele spiegelt. Er schaut mich nicht an, sondern betrachtet das Schiff und die Sterne dahinter. Es scheint, als warte er darauf, daß ich zu sprechen beginne, aber aus irgendeinem Grund kann ich mich nicht an das erinnern, was er zuletzt gesagt hat. Ich habe nur behalten, daß ich ein ganz besonderer Fall bin. Weil ich nicht weiß, was ich ihn fragen soll, frage ich das, was mir am meisten am Herzen liegt:
»Wann sehe ich dich wieder, Herr?«
Er deutet auf die weite Ebene, auf die vielen tausend Menschen, die gerade abreisen. »Die Erde ist ein Ort der Zeit und anderer Dimensionen. Momente hier können wie die Ewigkeit dort sein. Es hängt alles von deinem Herzen ab. Wenn du dich an mich erinnerst, bin ich im selben Augenblick auch bei dir.«
»Sogar auf der Erde?«
Er nickt. »Vor allem da. Sie ist ein besonderer Ort. Selbst die Götter beten darum, dort geboren zu werden.«
»Wie kommt das, Herr?«
Er lächelt leise. Sein Lächeln ist bezaubernd. Man sagt, daß das Lächeln des Herrn den Geist der Engel verwirrt hat. Meinen jedenfalls hat es verwirrt.
»Die eine Frage führt immer zur nächsten. Bei manchen Dingen ist es am besten, sich einfach nur zu wundern.« Schließlich wendet er sich mir doch zu, und seine langen schwarzen Haare wehen in der sanften nächtlichen Brise. Die Sterne spiegeln sich in seinen schwarzen Pupillen wider, und die Liebe, die er ausströmt, ist süß wie Ambrosia. Und doch bricht sie mir das Herz, weil ich weiß, daß es bald damit vorbei sein wird. »Alles ist maya«, sagt er. »Illusion.«
»Werde ich mich verirren in dieser Illusion, Herr?«
»Natürlich. Das ist zu erwarten. Du wirst dich für lange Zeit dort verirren.«
»Werde ich dich vergessen?«
»Ja.«
Tränen stehen in meinen Augen. »Warum muß es so sein?«
Er denkt nach. »Es war einmal ein großer Gott. Er war der Herr eines ungeheuren Meeres. Vielleicht kennst du den Namen dieses Meeres nicht, doch es liegt gar nicht weit von hier. Dieser Gott hatte drei Frauen. Weißt du, wie schwer es ist, auch nur einer Frau zu gefallen? Dann kannst du dir vorstellen, wie schwer es sein mußte, alle drei glücklich zu machen. Kurz nachdem er die drei geheiratet hatte, kamen zwei von ihnen auf ihn zu und baten ihn um Geschenke. Die erste sagte: ›Mein Herr und Gebieter. Wir sind die prächtigsten und hübschesten deiner Frauen. Belohne uns mit einem besonderen Geschenk, und wir werden dir in besonderer Weise dankbar sein.‹ Die zweite sagte zu ihm: ›Wir haben dir treu gedient und keinen anderen außer dir geliebt. Gib uns Reichtümer, und wir werden den Rest unseres Lebens bei dir bleiben‹ Der Gott lachte über diese Wünsche, doch weil er mit den Frauen zufrieden war, erfüllte er sie ihnen. Der ersten gab er alle Juwelen seines Meeres: Diamanten, Emeralde, Saphire. Der zweiten gab er die bunten Korallen und alle hübschen Muscheln. Die dritte Frau hatte ihn um nichts Besonderes gebeten. Also gab er ihr das Salz.«
»Das Salz, Herr? Das ist alles?«
»Ja. Weil sie ihn um nichts gebeten hatte, gab er ihr das Salz, und sie verstreute es im Meer. Alle leuchtenden Juwelen wurden unsichtbar, und all die hübschen Muscheln wurden verdeckt. Und
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