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Schwarzes Echo

Schwarzes Echo

Titel: Schwarzes Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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offen. Das karierte Hemd war schief geknöpft. Mit vorquellenden Augen starrte er vor sich auf den Boden wie jemand, der keine Erklärung hatte, aber dringend eine benötigte. Einen Moment lang wunderte sich Bosch über den Entschluß des Mannes, erst sein Hemd zuzuknöpfen, dann die Hose.
    »Er ist sauber«, sagte sie. »Auch wenn er ein bißchen fertig aussieht.«
    »Könnte Verführung Minderjähriger sein, wenn Sie die Zeit investieren wollen. Ansonsten lassen Sie ihn laufen.«
    Er drehte sich zu dem Mädchen auf dem Bett um.
    »Sag ehrlich: Wie alt bist du, und was hat er gezahlt? Ich bin nicht hier, um dich mitzunehmen.«
    Sie dachte einen Augenblick darüber nach. Bosch wandte sich keine Sekunde von ihr ab.
    »Fast siebzehn«, sagte sie mit gelangweilter Stimme. »Er hat überhaupt noch nichts bezahlt. Er hat gesagt, er wollte, aber so weit ist er noch gar nicht gekommen.«
    »Wer hat das Sagen in eurer Clique? Sharkey? Hat er dir nicht beigebracht, daß du dir das Geld im voraus geben lassen sollst?«
    »Sharkey ist nicht immer da. Woher kennen Sie eigentlich seinen Namen?«
    »Hab’ ich irgendwo aufgeschnappt. Wo ist er heute?«
    »Ich hab’ Ihnen doch gesagt, ich weiß es nicht.«
    Der Mann im karierten Hemd kam durch die Vordertür ins Zimmer, gefolgt von Wish. Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt.
    »Ich nehme ihn fest. Es ist mir ein Bedürfnis. Das Ganze ist widerlich. Sie sieht aus …«
    »Sie hat gesagt, sie ist achtzehn«, sagte das karierte Hemd.
    Bosch ging zu ihm und schob das Hemd mit einem Finger auf. Er hatte einen blauen Adler mit ausgebreiteten Flügeln auf der Brust. In seinen Klauen hielt der Vogel einen Dolch und ein Hakenkreuz. Darunter stand One Nation. Bosch wußte, daß damit die Aryan Nation gemeint war, die Ariergang im Knast. Er ließ das Hemd los.
    »Seit wann bist du denn draußen?« fragte er.
    »Ach, komm schon, Mann«, sagte das karierte Hemd. »Das ist doch Scheiße. Sie hat mich von der Straße geangelt. Laß mich wenigstens meine verdammte Hose zumachen. Das ist doch alles Blödsinn.«
    »Gib mir mein Geld, du Wichser«, sagte das Mädchen.
    Sie sprang vom Bett auf – wobei das Laken zu Boden fiel – und machte sich nackt über die Hosentaschen des Freiers her.
    »Los, schafft sie mir vom Hals«, rief er, während er sich wand, um ihren Händen zu entgehen. »Sie sehen es doch! Sie sollte dran sein, nicht ich.«
    Bosch ging dazwischen, trennte die beiden und stieß das Mädchen aufs Bett zurück. Er trat hinter den Mann und sagte zu Wish: »Geben Sie mir Ihren Schlüssel.«
    Sie rührte sich nicht, also griff er in seine Tasche und nahm seinen eigenen Handschellenschlüssel. Einer paßte für alle. Er schloß die Handschellen auf und führte das karierte Hemd zur Eingangstür des Zimmers. Er öffnete sie und stieß ihn nach draußen. Auf dem Flur blieb der Mann stehen, um seine Hosen zuzuknöpfen, was Bosch Gelegenheit gab, ihm einen Fuß an den Hintern zu setzen und zuzutreten. »Verschwinde, Blindfisch«, sagte er, als der Mann den Korridor hinunterstolperte. »Heute ist dein Glückstag.«
    Das Mädchen hatte sich das schmutzige Laken wieder umgelegt, als Bosch ins Zimmer kam. Er betrachtete Wish und sah den Zorn in ihren Augen. Er wußte, daß es nicht nur um den Mann im karierten Hemd ging. Bosch sah das Mädchen an und sagte: »Nimm deine Sachen, geh ins Badezimmer und zieh dich an.« Als sie sich nicht rührte, sagte er: »Jetzt gleich! Mach schon!«
    Als sie ihre Kleider vom Boden neben dem Bett gesammelt und sich zum Badezimmer aufgemacht hatte – das Laken war dabei zu Boden geglitten –, drehte sich Bosch zu Wish um.
    »Wir haben zuviel anderes zu tun«, sagte er. »Sie würden den restlichen Nachmittag damit verbringen, ihre Aussage aufzunehmen und den Kerl einzubuchten. Außerdem ist das eine Staats- und keine Bundessache, also müßte ich ihn mitnehmen. Und es wäre garantiert ein Flop. Könnte ein Verbrechen oder ein Vergehen sein. Ein kurzer Blick auf das Mädchen, und der Staatsanwalt macht daraus ein Vergehen, wenn er es überhaupt registriert. Es ist den Aufwand nicht wert. So ist da Leben hier unten, Agent Wish.«
    Sie starrte ihn mit funkelnden Augen an, denselben Augen, mit denen sie ihn angesehen hatte, als er sie am Verlassen des Restaurants hatte hindern wollen.
    »Bosch, für mich war klar, daß es den Aufwand wert wäre. Tun Sie das nie wieder.«
    Sie standen da, und keiner wich dem Blick des anderen aus, bis das Mädchen aus dem

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