Schwarzes Echo
Sachen gestohlen wurden, was konnte er da schon sagen? Hinter so was waren die Tunnelgräber her, nur wertvoller. Irgendwas, das den Schließfachtresor lohnender machte als den Haupttresor.
Irgendwas, das Meadows’ Ermordung notwendig machte, als die ganze Sache in Gefahr geriet, weil er das Armband versetzt hatte.«
Sie blieb still. Bosch sah zu ihr hinüber, aber hinter ihrer Sonnenbrille war sie unergründlich.
»Hört sich für mich an, als wollten Sie schon wieder von Drogen anfangen«, sagte sie nach einer Weile. »Und der Hund hat gesagt: keine Drogen. Das Drogendezernat hat auf unserer Kundenliste keine Verbindungen feststellen können.«
»Vielleicht Drogen, vielleicht auch nicht. Aber genau deshalb sollten wir uns diese Schließfachbesitzer ansehen. Ich möchte die Liste selbst sehen. Ich möchte sehen, ob es irgendwo bei mir klingelt. Die Leute, die nichts gestohlen gemeldet haben, mit denen fange ich an.«
»Ich besorge Ihnen die Liste. Wir haben ohnehin nichts anderes laufen.«
»Na ja, wir müssen diese Namen von Scales überprüfen«, sagte Bosch. »Ich dachte mir, wir suchen die Fotos raus und zeigen sie Sharkey.«
»Könnte einen Versuch wert sein. Besser als abzuwarten.«
»Mir ist so, als ob der Junge was weiß. Vielleicht hat er in der Mordnacht ein Gesicht gesehen.«
»Ich habe Rourke wegen der Hypnose ein Memo dagelassen. Er müßte sich heute oder morgen deswegen bei uns melden.«
Sie nahmen den Pacific Coast Highway um die Bay herum. Der Smog war ins Inland geweht, und die Luft war so klar, daß man hinter den Schaumkronen Catalina Island sehen konnte. Sie hielten zum Mittagessen vor Alice’s Restaurant, und da es schon spät war, fanden sie einen Tisch am Fenster. Wish bestellte einen Eistee, Bosch nahm ein Bier.
»Als ich klein war, bin ich immer auf diesem Pier gewesen«, erzählte Bosch. »Eine ganze Busladung von uns haben sie hier rausgekarrt. Damals gab es draußen am Ende einen Laden, in dem man Köder kaufen konnte. Ich hab nach Gelbschwänzen gefischt.«
»Kinder vom Jugendamt?«
»Ja. Äh, nein. Damals nannte es sich Amt für Soziale Dienste. Vor einigen Jahren haben sie endlich gemerkt, daß man eine eigene Abteilung für Kinder braucht, also wurde das Jugendamt eingerichtet.«
Sie blickte aus dem Fenster des Restaurants über den Pier. Sie lächelte über seine Erinnerungen, und er fragte, an welche Orte sie sich am besten erinnerte.
»An alle möglichen«, sagte sie. »Mein Vater war beim Militär. Mehr als zwei Jahre habe ich nie an einem Ort verbracht. Daher habe ich kaum Erinnerungen an Orte. Eher an Menschen.«
»Sie und Ihr Bruder standen sich sehr nahe?« sagte Bosch.
»Ja, weil mein Vater viel unterwegs war. Mein Bruder war meistens da. Bis er sich freiwillig gemeldet hat und für immer wegging.«
Salate wurden auf den Tisch gestellt, und sie aßen und plauderten ein wenig. Und irgendwann, nachdem die Kellnerin die Salatteller mitgenommen und bevor sie die Teller mit den Hauptgerichten gebracht hatte, erzählte sie die Geschichte ihres Bruders.
»Jede Woche hat er mir geschrieben, und jede Woche hat er gesagt, er hätte Angst und wollte nach Hause«, sagte sie. »Das war nichts, was er Vater oder Mutter hätte erzählen können. Aber Michael war nicht der Typ dafür. Er hätte nie gehen sollen. Wegen unserem Vater ist er gegangen. Er wollte ihn nicht enttäuschen. Er hatte nicht den Mut, nein zu sagen, aber doch soviel Mut, da rüberzugehen. Es macht keinen Sinn. Haben Sie schon mal etwas so Dummes gehört?«
Bosch antwortete nicht, denn er hatte schon ähnliche Geschichten gehört, inklusive seiner eigenen. Und sie schien an dieser Stelle nicht weitersprechen zu wollen. Entweder wußte sie nicht, was mit ihrem Bruder drüben passiert war, oder sie wollte sich nicht an die Einzelheiten erinnern.
Nach einer Weile sagte sie: »Warum waren Sie da?«
Er wußte, daß die Frage kommen würde, aber er hatte sie noch nie im Leben ehrlich beantworten können, nicht mal sich selbst gegenüber.
»Ich weiß nicht. Ich denke, ich hatte keine Wahl. Das Leben in Institutionen, wie Sie schon gesagt haben. Ich war nicht auf dem College. Kanada kam nie ernstlich in Frage. Ich glaube, es wäre schwieriger gewesen auszuwandern, als sich einfach einziehen zu lassen und nach Vietnam zu gehen. Achtundsechzig hab’ ich dann in gewisser Weise in der Einberufungslotterie gewonnen. Meine Nummer war so niedrig, daß ich wußte, man würde mich einziehen. Also dachte ich, ich
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