Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters
die lästige Angelegenheit an das ZK und ließ wissen, man wolle nicht mehr damit behelligt werden. Unmissverständlich schrieb ein Mitarbeiter: Man möge in der Angelegenheit entscheiden, was man wolle, eine Information an das Pieck-Büro sei nicht nötig.
Vier dürre Zeilen der Gleichgültigkeit. Was ging diese Menschen das Schicksal eines politischen Emigranten an? Und hätte Lorenz damals den Wisch in die Hand bekommen, so wäre vielleicht einiges anders gelaufen in seinem Leben. Statt Ostberlin hätte das Ziel seiner Bemühungen dann vielleicht doch Dortmund geheißen. Aber so hoffte er weiter auf seine Chance im neuen Deutschland und war davon überzeugt, dass er genau dort gebraucht würde. Ein paar Freunde, vor allem Horst Seydewitz, versuchten zu helfen. Horst hatte bald nach Kriegsende die Ausreiseerlaubnis erhalten. Sein Vater war inzwischen sächsischer Ministerpräsident, es machte keinen guten Eindruck, dass sein Sohn in einem russischen Lager festsaß. Seydewitz achtete vor allem darauf, dass die Anträge aus Workuta im ZK nicht einfach in der Ablage oder im Papierkorb einer Sachbearbeiterin landeten.
Wenn auch nur langsam, so kam doch Bewegung in die Sache. Eine vorsichtige Anfrage aus dem ZK der SED flatterte in Moskau auf den Tisch eines gewissen Juri Andropow, der sie nicht einfach zusammenknüllte, sondern sich tatsächlich mit dem Fall befasste. Andropow war gerade aus Budapest zurückgekehrt, wo er als sowjetischer Botschafter eine zentrale Rolle bei der Niederschlagung des ungarischen Aufstandes spielte. Jetzt hatte er, quasi zur Belohnung, einen ruhigen Posten in Moskau abbekommen. Noch konnte keiner ahnen, dass er in der späten Sowjet-Ära die graue Eminenz im Kreml sein würde, als KGB-Chef, als Generalsekretär des ZK der KPdSU und einflussreicher Förderer eines gewissen Michail Gorbatschow.
Aber vorerst musste er sich mit weit weniger wichtigen Angelegenheiten plagen. Zum Beispiel mit diesem lästigen Deutschen aus Workuta. Der wollte so gar nicht in die üblichen Muster passen. Ein merkwürdiger Mensch. Zwanzig Jahre Arktis, der Mann konnte eigentlich froh sein, dass er überhaupt noch lebte, aber nein, er hatte offenbar von der Weltrevolution noch immer nicht die Nase voll. Er wollte partout in den Osten, obwohl er aus dem Westen stammte. So etwas erlebte man nicht oft. Was also tun? Die Genossen waren der Auffassung, zumindest ging das aus den Papieren hervor, so einen könne man nicht gehen lassen. Der solle schön im Sowjetland bleiben, sonst komme er noch auf dumme Gedanken. Dazu ein Journalist. Das machte die Entscheidung nicht einfacher. Man hatte diesen Lochthofen zwar rehabilitiert, aber das stand nur auf dem Papier. Ein «Ehemaliger» blieb für die einschlägigen Behörden, vor allem aber für Partei und KGB, immer ein «Ehemaliger». Andererseits, was sollte schon passieren? In der DDR hatte man alles im Griff. Der brauchte nur einen Mucks zu tun, schon saß er wieder in seiner alten Baracke.
Andropow diktierte der Sekretärin:
«An die Kommission für Ausreisen ins Ausland beim ZK der KPdSU
Das Zentralkomitee der SED (Gen. Ulbricht) hat sich mit der Bitte an das ZK der KPdSU gewandt, dabei behilflich zu sein, Lorenz Lochthofen gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern die Ausreise in die DDR zu genehmigen.
Lorenz Lochthofen ist Deutscher, geboren 1907, er kam 1930 in die UdSSR, ist Bürger der UdSSR und absolvierte die KUNMS, er wurde 1937 durch die Organe des NKWD in der Zeit seiner Arbeit in einer Zeitungsredaktion in der Republik der Wolgadeutschen verhaftet. Seine Strafe verbüßte er in der Stadt Workuta und wurde 1946 entlassen.
Bei der Beschäftigung mit den Akten von Lorenz Lochthofen und seiner Frau stellte sich heraus, dass der Vater der Frau – Alförow P. A., Geburtsjahr 1890, Gießer von Beruf – gleichfalls seine Strafe in Workuta von 1934 bis 1942 verbüßte und derzeit Rentner ist. Aus diesem Grund hält das Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR eine Ausreise der Familie Lochthofen für nicht empfehlenswert.
Elena Pawlowna Alförowa-Lochthofen ist 1926 geboren. Sie war acht Jahre, als ihr Vater verhaftet wurde und die Mutter starb. Nach der Beendigung der Schule und einer Berufsschule 1944 arbeitete sie in einem Schacht. Im gleichen Jahr fuhr sie zu ihrem Vater nach Workuta, der zu diesem Zeitpunkt seine Frist abgesessen hatte, und arbeitete als technische Zeichnerin auf dem Schacht Nr. 8. 1947 heiratete sie
Weitere Kostenlose Bücher