Schwarzes Feuer: Die Herren der Unterwelt (German Edition)
überhaupt noch etwas gab.
Sie wirkte blasser als sonst. Der zarte rosa Schimmer auf ihren Wangen fehlte, und die Sommersprossen hoben sich deutlicher ab. Die goldenen Locken, die ihr über die Schultern fielen, hatten ihren Glanz verloren, und er konnte Ruß auf den feinen Strähnen erkennen. Nur mit Mühe widerstand er dem Impuls, die Hand auszustrecken und ihr Haar durch seine Finger gleiten zu lassen, um es von dem schwarzen Schmutzfilm zu befreien.
Würde sie schreiend davonlaufen, wenn er es tatsächlich täte? Wahrscheinlich.
Auch ihre Kleidung war heute anders als sonst. Sie trug ein violettes Gewand und eine passende Halskette – an der ein tropfenförmiger Amethyst baumelte, so groß wie seine Faust und hell funkelnd wie die glitzernde Eisschicht, unter der die Erde seiner Heimat den Großteil des Jahres über lag. Eis, das er seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. Und sie hatte er noch nie etwas Derartiges tragen sehen. Für gewöhnlich hüllte sie sich in schlichtes Weiß, von Kopf bis Fuß, ein Engel im Zentrum des Bösen, ohne überflüssigen Zierrat.
„Wie?“, bohrte er nach. „Warum?“ Und warum siehst du so traurig aus?
„Spielt das eine Rolle?“ Sie sah ihn an, und ihr Blick durchdrang ihn wie ein präzise geworfener Speer.
Jetzt wurde die Traurigkeit von Wut überlagert. Er mochte keins von beidem. Dieses wunderbare Wesen sollte niemals Kummer erleiden müssen, sondern nichts als Glück erfahren.
„Für mich tut es das.“
Aber nur, weil sein Überleben davon abhing. Wäre das nicht gewesen, er hätte sich zu allem bereit erklärt, ohne mit der Wimper zu zucken. Ihr gegeben, was immer sie von ihm verlangte. Sogar in die alles verschlingenden Flammen des Fegefeuers wäre er ihr gefolgt, wie sie ihn zu Anfang gebeten hatte.
Sie stampfte mit einem ihrer zierlichen Füße auf. „Um die Mauer vor dem Einsturz zu bewahren, brauche ich deine Hilfe. Das muss dir fürs Erste als Antwort genügen. Du weißt so gut wie ich, dass Luzifer ihre Zerstörung nicht zulassen kann.“ Mit dem Zeigefinger winkte sie ihn zu sich heran. „Komm. Sieh selbst, welche Ausmaße der Schaden auf dieser Seite bereits angenommen hat. Dann wirst du verstehen, warum ich auf die andere gehen muss.“
Diesmal wartete die Göttin nicht auf eine Antwort. Sie drehte sich um und ging zu der gewaltigen steinernen Mauer hinüber. Nein, sie schwebte hinüber, jede ihrer geschmeidigen Bewegungen ein schimmerndes Leuchten im fahlen Zwielicht.
Wozu willst du so unbedingt überleben? Was hat dir das Leben denn bisher Gutes zugestanden? Geryon zögerte nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er ihr folgte. Tief atmete er den süßen Duft von Geißblatt ein, der sie umgab.
Und zu seinem Erstaunen kam niemand plötzlich aus den Schatten gesprungen, um sich auf ihn zu stürzen, nichts lauerte in der Dunkelheit, um ihn für seinen Ungehorsam zu bestrafen. War er wirklich frei? Konnte er es wagen, zu hoffen?
Die Göttin drehte sich nicht zu ihm um, als er neben ihr stehen blieb. Gedankenversunken fuhr sie mit der Fingerspitze über den dünnen Riss in der Mitte des Steins. Ein Riss, der sich ausbreitete und verzweigte, sodass er an viele kleine Wasserläufe erinnerte, die sich von einem reißenden Strom aus unaufhaltsam ins Land fraßen.
„Auf den ersten Blick sieht es nicht besonders schlimm aus, ich weiß. Aber der Riss ist schon jetzt doppelt so breit wie gestern. Wenn niemand die Dämonen aufhält, wird es nicht mehr lange dauern, bis die Mauer fällt und sie in Legionen in die Welt der Menschen strömen.“
„Gelänge es nur einem Einzigen von ihnen, diese Welt heimzusuchen“, murmelte Geryon, „hätte das fatale Folgen. Chaos, Tod und Zerstörung würden über die Menschen hereinbrechen.“
Ob er nun bestraft würde oder nicht, er beschloss, ihr zu helfen. Er durfte nicht zulassen, dass solch eine Katastrophe geschah. Dass den Unschuldigen ihr Glaube an das Gute geraubt wurde, ihr Vertrauen, ihre Zuversicht. Viel zu kostbar waren diese Dinge.
„Angenommen, ich tue es ... angenommen, ich helfe Euch …“
Noch immer hatte sie ihm den Rücken zugekehrt.
„Ja?“ Ein atemloses Wispern.
„Verdiene ich mir damit immer noch eine Belohnung? Was auch immer ich will?“ Wie selbstsüchtig er war, danach zu fragen, doch er nahm die Worte nicht zurück.
„Ja.“ Kein Zögern. Ihre Stimme immer noch atemlos. Was erwartete sie wohl, worum er sie bitten würde?
„Also gut, so sei es. Ich akzeptiere den
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