Schwarzes Gold Roman
Stian aus der Handtasche seiner Mutter gemopst hatte. Es war ein
Abenteuer gewesen. Stian hatte Geld und wollte es teilen. Anders hatte einen
Traum. Das Abenteuerliche an der Sache war, alleine in einem Abteil zu sitzen
– ohne Eltern, auf einer heimlichen Reise. Anders würde nie das Gefühl
vergessen, als sich der Zug in Bewegung setzte und aus dem Westbahnhof fuhr. Er
hatte noch nie einen Gedanken an Nordagutu verschwendet, hatte keine Ahnung, wo
in Norwegen sich dieser Ort befand. Er verspürte einfach dieses Ziehen in der
Magengegend. Die Spannung, die das bevorstehende Abenteuer in sich barg.
Dieses Gefühl stellte sich auch wieder ein, als er das Auto
bezahlte. Der Verkäufer war ein Rentner, der in einem Reihenhaus in Karihaugen
wohnte. Er stapfte hinunter zum grünen Garagentor, während er vor sich
hinmurmelte, wie stabil und zuverlässig der Wagen sei, und dass weder die
Kotflügel noch die Holme einen einzigen Rostflecken aufwiesen. Anders hörte
kaum zu. Im Halbdunkel der Garage hauste ein mächtiger, grüner Mercedes mit
Zielvorrichtung auf der Kühlerhaube. Er war sieben Jahre alt, und der
Innenraum roch nach Ledersitzen. Doch ausschlaggebend war das Gefühl, das
Gefühl, als er einstieg, die Türe schloss, das Lenkrad umfasste und den Blick
über die Stadt und die umliegenden Bergrücken schweifen ließ. Ein Ziehen:
der stille Jubel vom Raucherabteil in der Sørlandsbahn war wieder da.
Er hielt an einer Autobahnraststätte, um sich etwas zu essen
zu kaufen. Bei den LKW-Parkplätzen standen ein paar Huren in hohen Stiefeln.
Anders betrat die Tankstelle und kaufte dem pickeligen Jüngling im grünen
Pulli eine Bockwurst mit Senf ab. Der Junge fragte, ob Anders sonst noch etwas
wünsche. Anders bat um eine Cola und Zigaretten. In dem Regal hinter dem
Verkäufer standen eine Menge merkwürdiger Marken. Gitanes, Gauloises – doch
die hatte er schon einmal probiert, sie schmeckten wie Zigarren. Er entdeckte
Filterlose in einem quadratischen gelben Päckchen. Parisienne. Er kaufte zwei
Schachteln, aß das Würstchen, trank die Cola und ging.
Auf der Autobahn, nur wenige Meter entfernt, sausten
unablässig Fahrzeuge vorbei. Anders zündete sich eine Zigarette an. Er wusste
nicht, warum, aber er verspürte einen winzigen Rausch. Er saß seit über
einem Tag hinter dem Steuer, war von Oslo aus nach Südschweden gefahren, hatte
die Fähre nach Dänemark genommen, Dänemark durchquert, ebenso einen großen
Teil Deutschlands. Das Auto schnurrte. Es fuhr problemlos hundertfünfzig. Er
hatte die Taschen voller Geld, und niemand bestimmte, was er zu tun oder zu
lassen hatte. Wohin sollte er fahren?
Nach Paris, sagte eine Stimme in seinem Kopf. Mach es wie
Henry Miller, such dir in Montparnasse ein Dach über dem Kopf, oder in Clichy,
lern ein paar verrückte Maler und Schauspieler kennen, mit denen du Absinth
trinken kannst. Danach machst du es wie Hemingway. Fahr nach Spanien, nach
Pamplona, und renn mit den Stieren um die Wette. Mach deine Träume wahr!
Für einen kurzen Augenblick fühlte er sich schwerelos, warf
den Kopf zurück und lachte gen Himmel. Er war vollkommen frei. Er konnte tun,
was er wollte. Er konnte den Wagen abstellen, ein Ticket auf die Bahamas kaufen
und Spaß haben!
»What are you laughing at?« Eine der Prostituierten kam auf
ihn zu. Sie war überschminkt, ihr Gesicht hatte Ähnlichkeit mit einem
Plastikkopf aus einer Puppenzeitschrift. Das Oberteil spannte über den
Brüsten, und der Minirock reichte ihr nur knapp über die Pobacken. Sie trug
schwarze Stiefel, die bis über die Knie gingen.
Anders schüttelte abweisend den Kopf. Doch die Dame war
standhaft. »Tell me, what are you laughing at?«
Anders schlenderte in die andere Richtung davon. Er nahm
tiefe Züge von der Zigarette, die gar nicht so schlecht schmeckte, passierte
riesige LKW-Reifen und vernahm plötzlich skandinavische Töne:
… Leende
gulbruna ögon har jag förälskat mig i …
Die Töne von Vikingarnas Tanzschlager drangen durch das
einen Spalt geöffnete Seitenfenster eines großen Scania, der an der Hecke
geparkt stand. Anders blieb stehen und lauschte. Das Rauschen der Wagen, die in
hohem Tempo ein Stück entfernt vorbeisausten. Die klappernden Absätze und das
gedämpfte Gemurmel der Huren, die versuchten Kunden abzuschleppen, die Stimme
eines Mannes, der einem anderen etwas zurief, das Zirpen einer Grille in einem
Baum hinter dem Kiosk, das Dröhnen
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