Schwarzes Gold Roman
Kuvert und baute seine innere Spannung immer weiter auf. Dann ging er mit einem
schnellen Schritt zum Tisch, räumte ihn frei und legte den Brief auf den
Schreibtisch. Er benutzte seinen silbernen Brieföffner mit
Hardangerverzierung, um ihn zu öffnen. Er zog einen feinen Bogen mit
verschnörkeltem Dekor heraus. Per Ole hielt das Blatt gegen das Licht und
lächelte. Dann nahm er ein Lineal zur Hand und maß Breite und Länge.
Schließlich schob er den Bogen mit größter Vorsicht zurück in den Umschlag.
Er erhob sich und ging hinaus. Beschwingt ging er die Oscars Gate hinunter und
bog nach rechts ab. Er betrat das Bilderrahmengeschäft im Hegdehaugsveien.
Dort nahm er Platz und sah sich die Rahmen an, die der Mann im blauen Kittel
anzubieten hatte. Per Ole holte das Kuvert hervor. Er maß und legte die Finger
ans Kinn und grübelte lange, bis er sich entschied. Nachdem er einen Rahmen
ausgesucht hatte, wurde ihm ein Hocker in der Ecke zugewiesen, von wo aus er
dem Rahmenmacher bei der Arbeit zusah. Eine Stunde später verließ er den
Laden mit einem Paket unter dem Arm – die Urkunde fertig gerahmt. Auf dem
Rückweg ging er noch in einen Eisenwarenhandel und erstand einen kleinen
Hammer und eine Tüte Nägel.
In seinem Büro legte er wieder die Hand ans Kinn, um
nachzudenken. Er konnte sich diverse Plätze vorstellen. Schließlich entschied
er sich dafür, das Bild an die rechte Wand zu hängen, neben das Fenster. So
würde kein Sonnenlicht auf das Rahmenglas fallen und die Wirkung des Motivs
schmälern. Nun, dachte er, würden alle, die einen Blick darauf warfen, den
Anblick unmittelbar genießen können – er selbst eingeschlossen, wenn er, am
Schreibtisch sitzend, den Kopf hob, um sich von einem Blick auf das
Meisterstück inspirieren zu lassen.
Zu seiner Enttäuschung bemerkte niemand – nicht einmal Jim
Klafstad – den diskreten Goldrahmen, der neben dem Fenster hing. War es
Ironie – oder einfach typisch –, dass ausgerechnet sein Vater den Rahmen
bemerkte, als er eines Nachmittags pflichtbewusst vorbeischaute. Vebjørn
entdeckte das gerahmte Stück Papier. Er nahm es vom Haken, um es eingehend zu
betrachten, dann wandte er sich um und sah seinen Sohn fragend an.
»Eutronica«, sagte Per Ole, »im Januar 1983 gekauft, am
Tag, als der norwegische Börsenindex das Licht der Welt erblickte.«
»Ich muss schon sagen. Das erinnert mich ein bisschen an
Onkel Dagobert und seinen ersten Taler.«
Dass sein Vater sich über ihn lustig machte, entlockte Per
Ole ein verlegenes Lächeln.
»Kann doch sein, dass da etwas dran ist«, verteidigte er
sich. »Hals und Beinbruch und all so etwas.«
»Natürlich.« Vebjørn nickte und hängte den Aktienbrief
zurück an seinen Platz. »Wie dem auch sei, ich wünsche dir jedenfalls Hals
und Beinbruch, Per Ole.«
Per Ole erhob sich und ging hinüber zu seinem Vater. »Der
Index steht heute bei 155«, sagte er. »Die Ausländer kaufen Aktien wie nie
zuvor. Gott hat uns die Willoch-Regierung gegeben, und Willoch hat uns
Aktienanlagen mit Steuerersparnis gegeben. Wenn König und Bettelmann auf
demselben Markt einkaufen können, gibt es für den privaten und öffentlichen
Verbrauch keine Grenzen mehr!« Er nahm die eingerahmte Aktie von der Wand und
hielt sie ins Licht. »Das ist ein kleines Kunstwerk«, sagte Per Ole
verträumt, »findest du nicht?«
Vebjørn sah seinen ältesten Sohn nachsichtig an.
»Eigentlich eine schöne Metapher – Kunstwerk. Es schmückt ungemein.« Und
dann äffte er Per Ole mit gutmütigem Lächeln nach: »Wahrhaftig. Gott hat
uns die Willoch-Regierung gegeben!«
Wirtschaftsbericht, Juni 1983
Das Rezept
Gibt es ein Rezept für den Erfolg? Es ist jedenfalls eine
Tatsache, dass bei Spenning AS aus einem Defizit innerhalb weniger Jahre Gewinn
gemacht wurde. Was ist die Ursache?, fragen wir Konzernchef Vebjørn
Lindeman.
»Spenning AS war ein einbeiniger Riese, solange das
Unternehmen sich ausschließlich auf die Schifffahrt konzentriert hat«, sagt
Lindeman. »Die Schlüsse, die ich Ende der sechziger Jahre aus meinen Analysen
gezogen habe, waren einer der Gründe für meine Abkehr von der Reederei. Die
Analysen bewiesen, dass die norwegischen Reedereien über zu geringes
Eigenkapital verfügten, um einer Konjunkturabschwächung standzuhalten. Mir
wurde klar, dass man in dieser Branche auf mehreren Beinen stehen musste. Doch
Reeder sind konservativ. Es war unmöglich, Gehör für meinen
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