Schwarzes Gold Roman
sperren.«
Per Ole, höhnisch: »Der Hausarzt der Familie. Das ist eine
Zeile aus einem Roman. Hör auf Anders. Du verarschst uns.«
Anders: »Willst du Mama vielleicht in der Gummizelle sitzen
lassen?«
Vebjørn erhob sich. »Wo ist das? Welches
Polizeirevier?«
»Grønland.«
27
In dieser Nacht blieb er vor Renates Haus stehen. Es war
lange her, länger als ein Jahr bestimmt, dass er hier gestanden, in der
Einfahrt Kieselsteinchen aufgesammelt und sie an ihr Fenster geworfen hatte.
Ihr Kopf war ein dunkler Schatten, als sie das Fenster einen
Spalt öffnete und flüsterte: »Anders?«
Eine Minute später erschien sie in ein weißes Handtuch
gewickelt an der Terrassentür.
Sie sprachen kein Wort, nicht, als sie im Dunkeln die Treppe
hochstiegen, nicht, als er sich in ihr Bett legte, nicht, als sie ihre Arme und
Beine um ihn schlang, nicht, bevor draußen der Tag graute und er die Umrisse
der chinesischen Arbeiterplakate an der Wand erahnen konnte. Da drehte er den
Kopf zur Seite und stellte fest, dass auch sie nicht schlief, sondern ihn aus
halb geschlossenen Augen ansah.
»Soll ich dir ein Geheimnis verraten?«
»Welches denn?«
»Im Inneren der Seele liegt der Kern.«
»Der Kern?«
»Ja, der Seelenkern. Der ist schusssicher.«
Sie lächelte in die Dunkelheit.
»Und in diesem Kern, da wohnen zwei kleine Menschen. Sie
heißen …«
Sie biss sich auf die Lippen und warf ein: »Sind sie
Christen?«
»In der Seele ist kein Platz für Christen.«
»Woher weißt du das?«
»Die beiden heißen …«
»Gibt es dort Buddhisten?«
»Nein, aber sie machen viel Yoga und meditieren.«
Sie rollte auf die Seite und stützte den Kopf auf die Hand.
»Was für ein Zufall, dass ich gestern nach Hause zu meinen Eltern gekommen
bin«, flüsterte sie. »Ich habe an dich gedacht, und sie haben sich
gewünscht, dass ich über Nacht bleibe, und dann stehst du vor der Tür.«
Er lag ganz still und betrachtete ihr Gesicht.
»Was hast du so gemacht in der letzten Zeit?«
»Ich habe mit einem Typen zusammengearbeitet, der Jonny
heißt.«
»Was habt ihr gemacht?«
»Frag nicht. Ich habe auch noch etwas anderes getan: Ich
habe versucht zu schreiben.«
»Was denn?«
»Frag nicht.«
»Doch, sag mal.«
Er verfolgte die Linie ihres Körpers unter der Decke. Ihre
Brüste. Die großen Augen.
»Ich bin eigentlich gekommen, um zu sagen, dass ich
fahre.«
Sie bewegte sich, unruhig.
»Ich verreise.«
»Wohin?«
»Weiß ich nicht.«
»Du weißt es nicht?«
»Jonny, der Typ, mit dem ich zusammengearbeitet habe, hat
mich ein paar Monate lang vollkommen an der Nase rumgeführt.«
»Wie denn?«
»Er hat keine Buchführung gemacht, keine Kasse, keine
Quittungen, nichts. Er ist ein schriller Typ, keine Frage, aber durch und durch
unehrlich, und ich will nicht derjenige sein, der auf der Verantwortung sitzen
bleibt. Deshalb fahre ich – bevor er abhaut.«
Ihr Gesicht lag im Schatten. »Willst du einfach weg?«
»Ja.«
Stille ergriff sie – lange.
Er wusste nicht, wie er es sagen sollte. Ihre Blicke
begegneten sich im Dunkeln. Schließlich platze er heraus: »Komm mit!«
Sie antwortete nicht.
Eine neue und andersartige Stille lähmte sie. Sie erhob sich
zwischen zwei Augenpaaren, die einander nicht losließen, und breitete sich
langsam im Raum aus.
Er schluckte und legte den Kopf nieder.
Sie hielt alle Reaktionen und Antworten zurück – tief in
sich begraben.
Dann streckte er den Arm aus, damit sie ihren Kopf darauf
betten konnte.
Aftenposten, 15. Februar 1982
Frau läuft im Kino Amok
Es gab erste Anzeichen einer Panik im Saga Kino in Oslo, als
gestern während der 21-Uhr-Vorstellung eine Frau mit erhobenem Messer den
Mittelgang hinunterstürmte. Sie führte der Leinwand einige unschöne
Verletzungen zu, ehe die uniformierten Kartenabreißer sie überwältigen
konnten. Die Polizei war schnell vor Ort und brachte Ordnung in das Desperado.
Die Ursache der Verwüstung ist nach wie vor unklar. Der Oslo Kinoverband
informiert, dass sich der Zwischenfall während einer Vorführung des beliebten
Kassenschlagers
Ragtime
mit der Hollywood-Ikone James Cagney in der
Hauptrolle ereignete. Die Schäden an der Leinwand werden im Laufe des Tages
ausgebessert werden, sodass die Abendvorstellungen normal stattfinden
können.
28
Einmal, als sie noch zur Grundschule gingen, waren Anders und
Stian mit der Sørlandsbahn bis nach Nor-dagutu gefahren. Bis dorthin reichte
das Geld, das
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