Schwarzes Gold Roman
Unternehmensanwalt Arild T. Røhne die Verträge für Spenning ausgehandelt
hat. Es habe nie bessere Zeiten für die Schifffahrt gegeben, sagt Gran. Die
Welt schreie nach Öl und Gas, und Spenning & Co sei zweifelsohne die
führende Reederei in der Tankschifffahrt, so Gran weiter. Angesichts des
langfristigen Einnahmepotenzials aus der Nordsee und den kurzfristigen Gewinnen
aus dem Persischen Golf werden die Milliardeninvestitionen schon bald gering
erscheinen. Anwalt Røhne stand gestern nicht für Interviews zur
Verfügung.
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Es sollte ein regnerischer Tag im Oktober sein, der sein
Leben veränderte.
Mit einer Herkunft wie der von Erling Sachs konnten sich
große Männer brüsten, wenn sie schließlich ihre Ziele erreicht hatten: Mit
zwei leeren Händen habe ich angefangen! Doch selbst wenn die ärmlichen
Verhältnisse wie Epauletten auf den Schultern des Selfmade-Millionärs
glitzern, trägt der Aufsteiger die Zugehörigkeit zum einfachen Volk doch wie
ein schweres Joch. Erling hatte sich sein ganzes Leben lang von diesem Druck
beschwert gefühlt. Er hatte seinen Dialekt abgelegt, um nicht den Vorurteilen
der Snobs ausgeliefert zu sein, die in seinem Wirkungsbereich verkehrten. Wie
ein Meisterfotograf hatte Erling Tricks und Retuschetechniken angewendet, um
ein Bild von sich zu entwerfen, das ausschließlich das verriet, was verraten
werden sollte. Bruchstücke, Auszüge, kleine Teile einer Geschichte. Er hatte
einen Abschluss in Volkswirtschaftslehre. Er hatte sehr gute Examensnoten –
und daher auch den Respekt seiner Kommilitonen. Doch sie wussten wenig über
Erling, und um das auszugleichen, hatten sie Geschichten über ihn konstruiert
– über sein fotografisches Gedächtnis, wenn es um Zahlen ging, über seine
fast manische Begabung, in jeder Situation zu lernen, über seinen totalen
Mangel an Humor. Aber wo war er aufgewachsen? Man wusste es nicht. Wer waren
seine Eltern? Sie waren tot – das entsprach vermutlich der Wahrheit.
Tatsächlich wusste er es selbst nicht. Doch da er sie nie gekannt hatte,
galten sie für ihn als tot. Zur Hochzeit waren nur ein paar Bekannte aus
Studienzeiten eingeladen. Warum niemand aus seiner nahen Verwandtschaft?
Niemand wusste es, und niemand fragte. Die Hochzeitsgäste gehörten einer
sozialen Schicht an, die es vermied, andere Leute mit Schmutz zu bewerfen. Das
endete doch immer nur damit, dass man sich selbst mit der Peinlichkeit
besudelte, die das Opfer erlitt. Wollte man in diesen Kreisen jemanden
verletzen, stellte man sich geschickter an. Nie etwa so vulgär wie mit
aufdringlichen Fragen nach der Eignung des Bräutigams auf einer Hochzeit, die
man schließlich mit der eigenen Anwesenheit legitimierte.
Erling hatte Mythen über sich geschaffen. Er war das Opfer
einer unendlich traurigen Kindheitsgeschichte. Vielleicht hatte diese traurige
Geschichte mit seinen toten Eltern zu tun. Vielleicht auch nicht. Aber auf dem
Gabentisch lag ein Glückwunschtelegramm des Königshauses – des
Kronprinzenpaars:
Für Erling Sachs und seine Bette Line zum großen
Tag.
Das Telegramm war an Erling gerichtet – der seine Bette
Line heiratete –, der Wortlaut ließ daran keinen Zweifel. Dies war kein
Telegramm, das aus Höflichkeit gesandt worden war, um der Tochter des
Großreeders Georg Spenning alles Gute zu wünschen. Dass es an Erling
gerichtet war, verlieh dem Banker mit seinen überdurchschnittlichen
Abschlussnoten einen vornehmen Glanz, die Patina patrizischer Emaille, und
erhob ihn an seinem Hochzeitstag aus dem Sumpf des gemeinen Volkes. Es machte
ihn der hübschen Reederstochter würdig, die so viel Geld auf dem Sparbuch
hatte.
Es gab eigentlich nur eine einzige Person, die sich weigerte,
sich in dieses Netz aus Geschichten und geschickter Inszenierung einspinnen zu
lassen. Seine Schwiegermutter. Die Reedersgattin Bitten Spenning war eine Dame,
die sich selbst gegen Rivalinnen durchgesetzt hatte, gegen Sozialneid und gegen
all die gewetzten Klauen und Zähne, die sich im Dschungel der
philanthropischen Vereine verbargen, ebenso wie hinter Ehrenämtern zugunsten
der Kinder und Bridge-Arrangements der besseren Gesellschaft – allesamt
Pendants der eher vulgären Hausfrauenvereine und Nähklubs der
Arbeiterklasse.
Bitten Spenning hatte zwei wilde und schöne Töchter zur
Welt gebracht. Zwei Mädchen, aus denen anbetungswürdige Schönheiten geworden
waren, die für die jungen Männer der Gegend immer
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