Schwarzes Gold Roman
angegriffen. Georg Spenning rieb sich die
Hände und brüllte mit der Zigarre zwischen den Zähnen: »Die Ägypter haben
den Suezkanal überschritten. Jetzt müssen die Tanker um das Kap der Guten
Hoffnung. Ich werde Milliarden verdienen!«
Spenning behielt recht. Die Kurse schossen noch weiter in die
Höhe. Das Geld kullerte dem Schwiegervater in die Tasche – Einnahmen in
Millionenhöhe, die Erling nur noch tiefer in den Sumpf der Erbärmlichkeit
versinken ließen. Erlings gut gemeinter Rat, keine weiteren Schiffe zu kaufen,
war der Beweis dafür, dass der Ehemann der Tochter eine einzige Katastrophe
war. Die Aussprüche des Dilettanten, begründet mit angeblich analytischer
Substanz, ließen ihn nur noch kläglicher erscheinen – und die Abneigung
gegen den Schwiegersohn wuchs fast ins Unermessliche, als Georg und Bitten
Spenning von seinem lachhaften Interesse am Aktienmarkt erfuhren.
Wie die meisten anderen Norweger hatte auch Erling die
formidable Wertsteigerung norwegischer Ölfirmen verfolgt. Im Laufe des Jahres
1973 war der Wert von Firmen wie Norimol, Norse Petroleum, DNO und Sagapart um
mehrere hundert Prozent gestiegen. Bei jeder Emission, mit der die Unternehmen
an die Börse gingen, hatte auch Erling mit dem Geld, das er erübrigen konnte,
Aktien erworben. Zwar war Erling mit einer sehr reichen Frau verheiratet, aber
auf Bette Lines Wunsch hatten sie Gütertrennung vereinbart. Aus diesem Grund
haftete den paar Aktien, die er sich zusammengespart hatte, etwas Armseliges
an. Geringe Investitionen bringen bescheidenen Ertrag. Kleckerweise Aktien zu
kaufen ist etwas für Verlierer. Ein Gewinner muss über größere Summen
verfügen können. Bette Line hatte Geld – aber wann immer Erling versuchte,
dieses Thema anzuschneiden, wurde sie blass und kniff die Lippen zusammen. Sie
wollte über andere Dinge sprechen. Ihr Geld war die Lebensversicherung ihrer
zukünftigen gemeinsamen Kinder. So war das einfach. Man spekulierte nicht mit
der Lebensversicherung der Familie.
Erlings mickrige Aktienkäufe wurden sowohl von Bette Line
als auch von ihren Eltern bestenfalls als töricht, schlimmstenfalls als ein
Anzeichen kleinbürgerlichen Größenwahns abgetan. Und die Demütigungen der
Schwiegermutter hatten neuen Nährboden erhalten.
Doch dann graute der Tag im Oktober 1973, der Tag, an den
Erling sich den Rest seines Lebens erinnern würde. Nicht unbedingt wegen des
Wetters oder der tagesaktuellen Nachrichten. Er würde sich an diesen Tag
erinnern, wie sich ein Stürmer an sein erstes spektakuläres Tor erinnert: den
Schuss, die Kraft dahinter und die Flugbahn, auf der der runde Körper sich in
die Ewigkeit bewegt. Er weiß, dass er reingeht. Es fehlt nur noch der Anblick
des Torwarts der sich vergeblich nach dem Ball streckt. Alle Ereignisse sind ja
eigentlich Prozesse – Aneinanderreihungen kleinerer Begebenheiten, die
zusammengenommen eine Einheit bilden. Aber nur ganz selten ist es einem
vergönnt, schon beim ersten Glied des Prozesses zu wissen, was passieren
wird.
Was an diesem Tag Ende Oktober den Prozess in Gang brachte,
war augenscheinlich eine ganz gewöhnliche Begebenheit in der Kreditabteilung
der CBK: Ein Kunde kam herein.
Erling kam aus der Toilette, als er beinahe mit einer alten
Dame zusammenstieß, die durch die Tür taumelte. Sie war mindestens neunzig
Jahre alt.
»Hoppla«, sagte Erling und trat zur Seite, um einen
Zusammenstoß zu vermeiden, »ist alles in Ordnung?«
Die Frau nickte stumm und blickte sich um. Sie sah ihn an.
Sie sah aus wie ein Krebs in seinem Panzer; ein
zusammengeschrumpftes Wesen, dessen Kopf schräg befestigt schien, mit
gebeugten Knien, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihr stumpfes Haar war von
einer Regenhaube geschützt, die das knorrige Gesicht und die tiefen
Augenhöhlen hinter ihrer unglaublich dicken Brille betonte. Es sah aus, als
sei die Haut an ihrem Kopf einige Nummern zu groß, ihre Lippen waren so dünn
und runzelig, dass man die Zähne in ihrem zusammengekniffenen Mund zählen
konnte. Der Nerz unter ihrem durchsichtigen Regenumhang ließ darauf
schließen, dass sie eine der feinen Damen war, die im Westen der Stadt auf
viel zu großen und wertvollen Wohnungen saßen.
»Junger Mann, können Sie mir helfen? Sie sind doch hier
angestellt, nicht wahr?«
Erling verzog die Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln und
warf einen Blick zum Schalter. Vor den Kassen stand eine lange Schlange von
Kunden.
Weitere Kostenlose Bücher