Schwarzes Gold Roman
Er war schon im Begriff, die Dame zu bitten, sich einzureihen, hielt
jedoch inne, da sie ohnehin nicht zuhörte. Sie hatte sich über ihre Tasche
gebeugt und suchte etwas.
Erling blieb einen Moment stehen und sah sich die Papiere an,
die sie herausgeholt und ihm gereicht hatte.
»Sie müssen mir helfen. Ich kenne mich ja mit den
Formalitäten nicht aus.«
»Folgen Sie mir, bitte«, sagte Erling entgegenkommend,
»hier entlang.«
Er wies ihr den Weg, vorbei an der Schlange vor der Kasse,
hinüber zum Aufzug, der offenstand und sie erwartete. Wenige Augenblicke
später hielt er ihr die Tür zu seinem Büro in der Kreditabteilung auf.
»In der Morgenausgabe der
Aftenposten
stand zu
lesen, dass der Kurs bei fünfundsiebzigtausend steht«, sagte die Frau
unsicher und setzte sich. Sie starrte mit zitterndem Kinn zu ihm auf.
Erling nahm an seinem Schreibtisch Platz und studierte die
Papiere, ohne sofort zu antworten. Hinter seinem Pokerface waren zwei Seiten
seiner Persönlichkeit zum Leben erwacht. In den Händen hielt er drei uralte
Aktienbriefe der Tankreederei VIDAR. Er dachte:
75 374 Kronen. Ein
wahnsinniger Kurs für eine einzelne Aktie. Aber auch nicht verwunderlich,
immerhin ist VIDAR eine der wenigen Reedereien, die in der Golfregion
Tankschifffahrt betreiben. Aber der Kurs, auf den sie sich bezog, war vom
Vortag. Heute war der Kurs auf 127 783 Kronen gestiegen. Aber das weißt du
nicht, Muttchen.
Erling setzte sein breitestes Haifischlächeln auf.
Er war der Stürmer, dem der Traumschuss gelang, der fühlte,
wie der Fuß den Ball traf, die Kraft hinter dem perfekten Stoß. Er folgte der
Flugbahn des Balles und der eitlen, wenn auch perfekten Ästhetik des Torwarts,
der flach in der Luft lag und das Unvermeidbare aufzuhalten versuchte. Noch war
nicht der Augenblick, die Arme hochzureißen und zur Tribüne zu laufen. Das
kam erst, wenn der Ball im Tor war. Aber in diesem Moment – der so umfassende
Bedeutung in Erlings Leben bekommen sollte – geschah etwas, dessen genauen
Ablauf er sich immer wieder, Sekunde für Sekunde, in Erinnerung rufen würde.
Und jedes Mal endete es damit, dass er seine kalte Entschiedenheit und
Handlungskraft bewunderte, seine Fähigkeit, die Gelegenheit beim Schopfe zu
packen – wie es sich für einen Gewinner gehört, wenn er gewinnen will.
»Man sagt, dass man am besten dann verkaufen sollte, wenn
der Kurs am höchsten ist«, sagte er und legte die Papiere eins nach dem
anderen auf den Tisch.
»Das kriegen wir hin. 75 374 Kronen«, sagte er und fügte
lächelnd hinzu: »Das multiplizieren wir mit drei, was abzüglich unserer
kleinen Gebühr von fünf Kronen 226 117 Kronen ergibt.«
Das verschrumpelte Wesen schien fast wie von einer
unsichtbaren Feder aufgezogen. Die Augen hinter den Brillengläsern glühten.
Der verkniffene Mund zitterte vor Aufregung.
Er dachte: Ihr hat davor gegraust, wegen der Höhe des
Betrages und ihrer tief verankerten Angst vor Autorität. Erling sagte: »Wir
sprechen hier also von einer viertel Million Kronen. Und wir können solche
Summen ja nicht einfach über den Schalter schieben, dafür haben Sie sicher
Verständnis.«
Die Frau nickte langsam. Das Glühen in ihrem Blick war
schwächer geworden.
»Ich gehe davon aus, dass Sie ein Konto bei uns haben.«
Sie nickte wieder.
»Ein Sparbuch vielleicht?«
Die bebenden Hände zogen ein kleines, grünes Sparbuch aus
der Tasche.
Erling befreite sie von dem Buch. »Hervorragend, gnädige
Frau. Kunden, die an alles denken, sind eine wahre Freude.«
Bei seinen Worten straffte sie wieder den Rücken. Die Augen
hatten wieder Feuer gefangen.
»Der Verkauf von Wertpapieren dauert seine Zeit, aber wir
sind ja für Sie da«, fuhr er ebenso ausgesucht höflich fort. »Ich nehme
jetzt also all diese Dinge, die Aktienpapiere und Ihr Sparbuch, und dann kommen
Sie morgen Nachmittag wieder, und das Geld ist auf Ihrem Konto. Was halten Sie
davon?«
Ihr Mund riss zu einem Lächeln auf, das lange, gelbe Zähne
mit einem Einschlag von Gold entblößte.
Erling fischte eine Visitenkarte aus dem Halter auf dem Tisch
und überreichte sie. »Sollten Sie in der Zwischenzeit irgendwelche Fragen
haben, zögern Sie nicht, mich anzurufen.«
Er begleitete sie zur Tür. Hielt sie galant auf. Er
begleitete sie zum Aufzug, fuhr mit nach unten und ging mit ihr bis zur
Ausgangstür. Auch die hielt er auf.
Als sich die Frau, völlig angespannt und die Tasche fest im
Griff,
Weitere Kostenlose Bücher