Schwarzes Gold Roman
aufbrachen, fuhren sie noch im Büro in der Oscars Gate
vorbei. Per Ole holte ein Paar Skistiefel, die er unbedingt hinter die Sitze
zwängen wollte. Dort beanspruchte bereits Renates Handgepäck sämtlichen
Platz. Er drückte und murmelte:
»Wir leihen uns Skier im Hotel.«
»Warum willst du dann Skischuhe mitnehmen?«
Per Ole, errötend: »Wir fahren doch in die Schweiz.«
Jim Klafstad, der über der Autotür hing und ihnen winken
wollte, schaltete sich ein. »Er schmuggelt Geld, Renate,
sechshunderttausend.«
Renate schaute von einem zum anderen.
»Fünfhunderttausend«, korrigierte Per Ole.
»Fünfhundert? Quatsch nicht, es sind sechshunderttausend.
Dreihunderttausend pro Stiefel. Hab ich doch selbst so gemacht.«
»Fünfhunderttausend«, beharrte Per Ole, »mehr hat nicht
reingepasst.«
Renate, die sah, dass die beiden auf einen Streit
zusteuerten, rettete die Situation, indem sie sagte:
»Das ist ja wohl nicht weiter verwunderlich, Jim. Per Ole
hat Schuhgröße zweiundvierzig, und du hast doch mindestens
sechsundvierzig.«
Die beiden schauten hinunter auf Jims Quanten. »Sieh einer
an«, sagte Jim. »Mein Fuß ist fünfzigtausend mehr wert als deiner.«
Nach der ersten Nacht im Hotel war Per Ole nicht mehr so
versessen aufs Skifahren. Er saß hauptsächlich über seinem Rechner, während
Renate auf dem Bett lag und sich durch Seifenopern und Filme gähnte, die
entweder auf deutsch oder italienisch synchronisiert waren. »Eins würde mich
mal interessieren«, sagte sie nach zwanzig Minuten mit Horst Tapperts schwerem
Derrick-Blick. Sie rollte auf die Seite und sah Per Ole an, der konzentriert
über seinen Unterlagen saß.
»Hm?« Er tippte eine Zahl in den Rechner und schaute
auf.
»Wirst du das nie leid?«, fragte Renate.
»Was?«
»Diese Bilanzen auszurechnen, mit denen du eigentlich nichts
zu tun hast.«
»Das sind nicht einfach Zahlen, das sind Werte.«
Sie stützte den Kopf auf die Hand. »Und was meinst du
damit?«
»Du würdest mich nur langweilig finden.«
»Ich habe doch gefragt«, antwortete sie und legte sich
bequemer hin. »Verrate mir das Geheimnis. Warum bist du so besessen von
Aktien?«
»Du musst Aktien und Anleihen wie Menschen betrachten. Erst
dann lernt man sie richtig kennen.«
Er senkte den Blick, plötzlich verunsichert. »Also, die
Aktiengesellschaft Snorre ist an der Börse zugelassen. Wenn ich errechne, wie
viel Snorre wert ist, also den Aktienkurs mit der Anzahl vorhandener
Wertpapiere multipliziere, kommt ungefähr ein Wert von 1,5 Milliarden Kronen
heraus. Diese Zahl ist offiziell. Interessant hingegen ist, wenn man ein
bisschen anders rechnet …« Er warf ihr einen fragenden Blick zu.
»Ja?«
»Bist du sicher, dass ich dich nicht langweile?«
Einen Augenblick schwieg sie, dann nickte sie langsam.
»Es gibt verschiedene Herangehensweisen, ja? Der Börsenwert
sagt nur etwas darüber aus, wie der Markt das Unternehmen aufgrund der
Wertsteigerungserwartungen und der Vertrauenswürdigkeit und sonstiger
Informationen einschätzt – aber das hat ja nichts mit dem reellen Wert zu
tun …«
Er verstummte, denn er bemerkte, dass Renate nicht mehr
zuhörte. Sie lag mit geschlossenen Augen auf dem Bett. Er schaute von ihr zum
Fenster. Der Mond war halb – er leuchtete vom Himmel.
»Ist das mit dem Mond nicht komisch?«
»Hm?«
»Man kann sich einfach nicht merken, wann er ab- oder
zunehmend ist«, sagte Per Ole, den Blick auf die Mondsichel gerichtet. »Es
ist, als würde man immer wieder vergessen, wo rechts und links ist, oder wie
rum man eine Schraube reindreht. Ich glaube, das hat System. Ein genereller
Defekt, den alle Menschen haben, wenn es um derart einfache Gegensätze
geht.«
»Wenn die Krümmung nach links zeigt, ist der Mond
abnehmend. Wenn sie nach rechts zeigt, ist er zunehmend«, sagte Renate mit
geschlossenen Augen.
»Woher weißt du das.«
»Weiß ich einfach.«
»Oh.«
Per Ole blickte wieder auf seine Unterlagen, hob den Kopf und
betrachtete wieder den Mond. Er sagte: »Weißt du die Wurzel aus drei?«
»1,732.«
»Woher weißt du das?«
»Weiß ich einfach.«
Per Ole sah sie lange an. Schließlich nahm er den Bleistift
zur Hand und rechnete weiter.
35
VG, 23. November 1986, Buchkritik
Gewollt und nicht gekonnt
Sternchen: 1 von 6
Anders Lindeman: Doffens Unterwelt
Roman, 316
Seiten.
Man kann sich fragen, wozu ein Verlag Lektoren beschäftigt.
Anders Lindeman ist Debütant. Aber wenn es
Weitere Kostenlose Bücher