Schwarzes Gold Roman
verurteilenswert zu kategorisieren. Als er versuchte, sich selbst und seine
Motive zu analysieren, ebenso, was er im Lichte welcher Umstände getan hatte,
fühlte er sich wie in einer komplexen philosophischen Diskussion, in der
jemand versuchte, ihn in eine Ecke zu drängen und ihm das Eingeständnis
abzuringen, dass er Ansichten verfocht, für die er eigentlich gar nicht
einstand. Im Grunde genommen, dachte er pragmatisch, liebe ich Renate, nur das
allein zählt. Dass ich bereue, zählt auch – und am Rest kann man ohnehin
nichts mehr ändern, dachte er und beschloss daher, nicht aufzugeben. Er würde
weiter um sie buhlen, jedoch mit einer doppelten Strategie: Er musste Renate
davon überzeugen, dass sein Fehlgriff nur Ausdruck seiner Liebe war, und
außerdem würde er Ordnung schaffen. Er würde Verzeihen und Zweisamkeit
ernten. Er konnte nicht akzeptieren, dass ihm das Glück wie ein Fisch vom
Haken sprang. Er machte seinen Bruder für seine unglückselige Situation
verantwortlich. Er dachte: Anders stand im Weg. Anders und seine pubertäre
Vergangenheit mit der Frau, die er, Per Ole, liebte, hatten die Stimmung
zwischen ihnen zerstört. Anders hatte Renate in eine Stimmungslage versetzt,
die Per Ole nicht verstand – der unmittelbare Grund für ihre Ablehnung und
seine Taubheit. Anders war schlicht und ergreifend die Schlange im Paradies.
Deshalb hasste er Anders. Er wollte ein Leben ohne Renate nicht hinnehmen. Er
weinte ein paar bittere Tränen, hielt den Kopf nachdenklich in die Hände
gestützt, bis er schließlich wusste, was zu tun war: Er ging in Høeghs
Blumenladen und bestellte Rosen, die per Boten zu seiner Freundin geschickt
wurden. Das erschien ihm passend. Lange hatte Per Ole viel Geld verdient. Jetzt
hatte er etwas, wofür er es ausgeben konnte, etwas, das ihm persönlich
wichtig war. Nachdem er Renate über zwei Wochen täglich mehrere Dutzend Rosen
geschickt hatte, legte er dem fünfzehnten Strauß die Einladung zu einem
Skiurlaub für zwei in der Schweiz bei.
Nun hätte man annehmen können, dass Renate aus Verachtung
für einen derart jämmerlich bereuenden Aggressor die Rosen fortwarf. Aber
Renate hatte mit Selbstverachtung zu kämpfen. Das Zusammentreffen mit Anders
hatte dieses Gefühl verstärkt. Sie verachtete sich für ihre Nervosität vor
dem Treffen. Sie verachtete sich für ihre Reaktion, als es so weit war. Es war
der gleiche Abscheu, den sie gegenüber ihrem Egozentrismus verspürte, ihrer
Fixierung auf Aussehen, Körper und Gewicht. Früher war sie für Dinge
aufmerksam gewesen außerhalb ihrer selbst, für andere Menschen, für
unterdrückte Völker oder Kriegsopfer in fernen Teilen der Welt. Doch all das
schien in einem anderen Leben gewesen zu sein, in einer anderen Zeit. Das war
nicht mehr sie. Übrig aus dieser Zeit waren nur Bruchstücke und einzelne
Episoden. Was die Konzentration zerrissen hatte, war das Erlebnis vor … wie
lange lag es zurück? Sie wusste es nicht mehr. Erinnerte sich nur noch an den
Schmerz, die Demütigung, die Angst in der Zeit danach, die Albträume und die
Schlaflosigkeit. Die Zeit vor den nervösen Beschwerden.
Die Beziehung zu Per Ole hatte die Beschwerden nicht ganz
vertreiben können. In der letzten Zeit hatte sie geraucht, um das
Hungergefühl zu betäuben. Auch wenn ihr Essverhalten etwas besser geworden
war, hatte die Fixierung auf ihr Aussehen und ihre Kalorienaufnahme doch nur
zugenommen.
Nach dem Bruch mit Per Ole waren die Probleme schlimmer
geworden. Sie rauchte, anstatt normal zu essen. Hielt mit Schokoriegeln, die
sie am Kiosk von Hovseter kaufte, den Blutzuckerspiegel hoch. Sie saß vor dem
Fernseher ohne mitzubekommen, was lief. Sie dachte zurück an die vergangenen
Jahre und fragte sich, wo sie falsch abgebogen war. War sie überhaupt falsch
abgebogen? Warum war sie so apathisch und ichbezogen? Sie hatte einen Job, der
sie forderte, der viele Chancen für sie bereithielt. Sie verdiente gut. Hatte
eine eigene Wohnung. Eigentlich war sie in einer Position, um die andere sie
beneideten, sagte sie sich, als die Blumenflut einsetzte.
Die Sträuße wurden größer. Die Lieferungen hielten an. Es
war etwas Romantisches an dieser üppigen Rosenflut – als spielte sie
plötzlich eine Rolle in einem Film voller schwärmerischer Konflikte. Die
Rosen fortzuwerfen oder sie zurückzuschicken, kam ihr nicht für eine Sekunde
in den Sinn. Stattdessen stellte sie Strauß um Strauß in der
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