Schwarzes Gold Roman
schon dem Leser peinlich ist, zur
nächsten Seite umzublättern, was hat sich dann der Lektor gedacht – wenn er
das Buch überhaupt gelesen hat? Wie kann man einem Autor die Behauptung
durchgehen lassen, dass VW Käfer 1970 noch geteilte Heckscheiben hatten? Sogar
mein Hund weiß, dass geteilte Heckscheiben schon 1960 nur noch ein Märchen
aus vergangenen Zeiten waren! Es mag sein, dass es unschön ist, Debütanten so
zu verurteilen. Aber aus Rücksicht auf die Allgemeinheit und den armen
Schlucker höchstselbst, sagt man dem Autor am besten sofort Bescheid. Anders
Lindeman, Sie können nicht schreiben. Gehen Sie Kartoffeln ernten, oder
Erdbeeren. Liebe Leser: Doffens Unterwelt ist das Papier nicht wert, auf dem es
gedruckt ist. Vermeiden Sie dieses Buch um jeden Preis.
Anders feierte das Erscheinen und den darauf folgenden
Verriss erst im Theatercafé, anschließend im Krølle Kro und schließlich im
Casino. Der ganze Tag war wie ein fiebriger Glücksrausch. Er war von Norwegens
größter Zeitung verrissen worden. Er war ein Bohemien – auf Augenhöhe mit
Anders Jæger und Edvard Munch. Jetzt musste er nur noch einen Skandal
verursachen, einen richtigen, saftigen, voll durchgezogenen, dreckigen Skandal,
der eines Wergelands, Kroghs oder Jægers würdig war. Am liebsten würde er
irgendeinen Verleger oder Kritiker zum Duell herausfordern, dachte er, als er
angeheitert aus dem Casino hinaustaumelte und über die Karl Johans Gate
wankte. Das leichte Schneetreiben ließ ihn die Augen zusammenkneifen. Am
einfachsten wäre es, einen Polizisten zusammenzuschlagen, dachte er. Dann in
die Ausnüchterungszelle, mit einem Bußgeld für Gewalt gegen Beamte belegt
werden, sich weigern, die Strafe zu bezahlen und am Ende abgeholt und in
Handschellen ins Gefängnis gefahren werden. Das wär’s. Das wäre eine
Auszeichnung, das wäre Geschichtsschreibung. Aber woher sollte er jetzt den
passenden Polizisten zum Verhauen nehmen? Er stand schwankend im Schneetreiben.
Plötzlich entdeckte er, dass vor ihm auf dem Bürgersteig zwei
außergewöhnlich schlanke Beine unter einem Pelzmantel herstolzierten. Diese
nackten Beine in der Winterkälte, der träge Schritt, das Blondinenhaar, das
über den Pelzrücken wallte, all das war ungemein sexy. Augenblicklich vergaß
er alles, was mit Skandal zu tun hatte. Er vergaß den Plan, sich mit der
Polizei anzulegen. Er folgte diesen Beinen wie ein Bluthund seiner Fährte. Und
schon bald fiel ihm auf, dass ihre Balance nicht die Sicherste war. Die Frau
ist ja betrunken, dachte er und beschleunigte. Als er an ihrer Seite war, schob
er seinen Arm unter ihren. »Passen Sie auf«, rief er, »es ist glatt
hier!«
»Pass du lieber auf, Flegel«, murmelte sie zur Antwort.
»Diese Dame ist zu alt für dich.«
Sie blieben stehen und sahen einander an. Ihr Gesicht war
gealtert und ein wenig verhärmt. Aber keine Zeit der Welt könnte je ihre
hübschen Züge auswischen. Es war Bette Line Spenning Sachs.
Weiter oben im Haus dröhnten Bass und Synthesizer eines
Popsongs.
Final Countdown.
Lachen. Besoffenes Gebrüll. Da feierte
also jemand eine Party. Er sprach es aus, während er ihr die Haustür
aufhielt.
»Da feiert wohl jemand eine Party.«
»Party, du …« Sie sagte es abwesend, mit gesenktem Blick,
und schlüpfte hinein – unter seinem ausgestreckten Arm hindurch. Also ging
es ihr wie ihm – sie war gespannt, heiß, sich des Offensichtlichen und
dennoch gefährlich Ungewissen dieser Situation bewusst: sie beide, nachts
allein auf dem Weg zu ihm nach Hause. Sie wackelte auf ihren hohen Hacken ins
Treppenhaus. Keiner von beiden sagte etwas, auch nicht, als die Haustür
krachend ins Schloss fiel, keiner sah den anderen an. Sie lehnte mit der
Schulter an der Wand, wo die grünen Briefkästen hingen und hielt mit festem
Griff den Kragen ihres Pelzmantels zusammen, als befürchte sie, ihn zu
verlieren. Durch das Treppenhaus zog der schwache Geruch von Shit –
überlagert, verdrängt von ihrem Parfum, das langsam den Raum erfüllte. Er
öffnete die uralte Aufzugtür und hielt sie ihr auf. Sie stieg ein, den Blick
nach wie vor gesenkt.
»Nein, was für ein Gentleman!«
Die Aufzugtür schloss sich lärmend. Anders zog ratternd das
Gitter zu. Die beiden standen in dem engen Lift, die Augen an die Wand
gerichtet. Er konnte die Konturen ihres Profils nur aus dem Augenwinkel
erahnen. Geschminkte Lider und lange, schwarze Wimpern. Er spürte, wie
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