Schwarzes Gold Roman
sich nehmen
musste.
Langsam erhob er sich. Er wollte den Gesichtern, den Blicken
nicht begegnen. Nicht jetzt. Er dachte an den Polizisten. Lange schaute er ins
Leere, dann griff er in die Tasche und holte das Flugticket heraus. Der Flug
ging um elf. Das Monopolgeschäft war bis zehn geöffnet. Das könnte gehen. Es
musste gehen.
Während der ganzen Reise hielt er sich wacker – auf dem Flughafen, im
Flugzeug und im Taxi mit Erling Sachs und Terje Plesner. Er hielt sich, doch er
kämpfte mit den Nerven und dem Schweiß. Er absolvierte die komplette
Begrüßungsrunde, checkte ein und stand in dem engen Aufzug, ohne eine Miene
zu verziehen. Als er aber das Hotelzimmer betrat, war die Grenze
überschritten. Er warf den Koffer aufs Bett, riss den Deckel auf und holte mit
zitternden Händen die erste Tüte heraus. Er nahm die erste Flasche heraus,
sogenannten geruchsneutralen Brun Bitter, drehte den Verschluss auf und nahm
einen tiefen Schluck. Er schnappte nach Luft, beruhigte sich.
Er bekam wieder Luft. Trank mehr, er streckte die Hand aus.
Sie zitterte noch immer. Aber es tat nicht mehr weh im Bauch. Es wurde warm. Er
nahm einen weiteren großen Schluck und schnüffelte. Es roch süß im Zimmer,
parfümiert. Er hob den Koffer auf die Ablage unter dem Spiegel und streckte
wieder beide Hände aus. Sie bebten nicht mehr. Er war auf dem richtigen Weg.
Er griff nach der Flasche und kippte noch einen großen Schluck hinterher.
Schaute hinaus. Er konnte ein paar Hausdächer erkennen, Teile des massiven
Nidaros Doms und einen kleinen idyllischen Hinterhof mit Quellwasser.
Die Gedanken verselbstständigten sich. Der Dollardeal musste
einfach ad acta gelegt werden. Daran konnte er nichts ändern. Andererseits gab
es Dinge, die er beeinflussen konnte: Der Polizist mit der Schlaghose. Das
Treffen mit Bent Ruste erschien jetzt in einem völlig neuen Licht. Er sah nur
das Komische daran. Das Ekebergrestaurant. Lächerlich! Er musste kichern. Er
erinnerte sich an die steifbeinige Alte, die ihren Portwein in Gesellschaft
eines Windhundes getrunken hatte. Urkomisch. Er grinste breit. Er dachte an
Dagfinn Bløgger, der Journalist, der am Flughafen Fornebu gewesen war.
Bløgger, der mitgeflogen war. Bløgger, mit seiner John-Lennon-Brille und
einem Mittelscheitel, der aussah wie mit Wasser gekämmt. Bløgger hatte sich
umgedreht und den Mittelgang entlanggeschaut, auf der Suche nach ihm – wo
sitzt er, Vebjørn Lindeman. Wie kann ich diesem Schwein auf die Nerven gehen?
Vebjørn musste über Dagfinn Bløgger lachen und seinen jämmerlichen Kreuzzug
gegen alles, bei dem er nicht mitmachen durfte.
Vebjørn zog die Gardinen vors Fenster. Im Dunkeln tastete er
nach dem Lichtschalter. Machte Licht. Sah sich um. Auf dem Schreibtisch standen
zwei Stielgläser. Das verlieh dem ganzen einen Hauch von Klasse. Zwei schmale
Gläser und eine Flasche Champagner. Er setzte sich aufs Bett und öffnete die
Minibar. In dem kleinen Kühlschrank stand nur Unsinn: Bier, Limonade, eine
Halbliterflasche Wein. Er griff nach der Flasche mit dem Brun Bitter, öffnete
den Verschluss und setzte sie an die Lippen. Die Wärme im Magen war zu einer
bedächtigen, lebensspendenden Glut geworden, die sein System ruhig hielt. Er
verschloss die Flasche wieder und packte den Rest des Vorrats aus, den er
besorgt hatte: Smirnoff, Hennessy, Johnnie Walker.
Plötzlich hörte er etwas – ein Knacken. Er drehte sich
um, konnte aber nichts entdecken. Merkwürdig, dachte er, jetzt bin ich schon
paranoid, bevor ich betrunken bin. Er nahm die Hemden aus dem Koffer und trug
sie zum Schrank. Er fuhr zusammen und schreckte zurück, als der die
Schranktür öffnete. Da war etwas im Schrank. Er blickte direkt in ein
Gesicht.
9
Nach viel Ärger und einem langen Papierkrieg mit den
norwegischen Behörden war es Aslan Shah endlich gelungen, in der dritten Etage
der Roald Amundsens Gate 5 in Oslo seine Physiotherapie-Praxis zu eröffnen.
Innerhalb kurzer Zeit hatte Aslan sich einen großen Kundenstamm aufgebaut. Die
Kombination von Therapie, empfohlener Diät und traditioneller Medizin war
völlig neuartig. Auch wenn diese Vorgehensweise sehr umstritten war – vor
allem unter Schulmedizinern, die mit dem Quacksalbergesetz gewappnet im
Fernsehen und Radio unablässig gegen Scharlatane und Betrüger ins Feld zogen
–, in gewissen Kreisen kursierten Gerüchte über Shahs magisches Vermögen,
die verdrehtesten Hüften und
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