Schwarzes Prisma
Garaduls Spiegelmänner führten sie mit vorgehaltener Waffe zu einem Wagen hinüber. Sie fesselten ihr nicht die Hände, was sie seltsam fand und was ihr für einen Moment Hoffnung schenkte. Dann übergaben die Spiegelmänner sie einem halben Dutzend Wandler, allesamt Frauen. Zwei Spiegelmänner blieben; sie hatten ihre Pistolen auf ihren Kopf gerichtet und zuckten nicht mit der Wimper.
Die Frauen – zwei Rote, zwei Grüne, eine Blaue und eine Superchromatin – zogen sie nackt aus und durchsuchten sie und ihre Kleider, wobei sie schnell ihre Augenkappen fanden. Die beiden Spiegelmänner hatten kaum einen Blick für ihren Körper übrig, und obwohl viele Männer im Lager sich umdrehten, um zu sehen, was immer sie zwischen all den Wandlerinnen, die sie umringten, sehen konnten, gab es keine einzige unanständige Bemerkung.
Diszipliniert. Verdammt.
Karris verschränkte die Arme über den Brüsten, senkte den Blick und heuchelte Verlegenheit. Nun, die Verlegenheit war vielleicht nicht zur Gänze geheuchelt.
»Augen nach oben!«, befahl eine der Roten.
Karris schaute auf. Sie wollten ihre Augen sehen, damit sie es bemerken würden, sobald sie versuchte zu wandeln. Außerdem klug, zweimal verdammt.
In schneller Folge gingen sie all ihre Kleider durch und betasteten jeden Saum, um nach versteckten Taschen zu suchen. Dann gingen sie ihren Beutel durch und katalogisierten sorgfältig alle Gegenstände. Nachdem sie alles gefunden hatten, hoffte Karris, dass sie ihr ihre Kleider zurückgeben würden.
Doch so viel Glück hatte sie nicht. Stattdessen öffneten sie die Tür des Wagens und warfen ein violettes Kleid und ein Unterhemd hinein.
»Geht rein«, sagte dieselbe Rote, die schon zuvor gesprochen hatte.
Karris stieg in den Wagen, und die Tür wurde hinter ihr zugeschlagen. Sie hörte, wie ein Riegel zugeschoben wurde, dann wurden Ketten vorgehängt. Der Wagen war ziemlich geräumig. Ausgestattet war er mit einer Pritsche zum Schlafen, einem Nachttopf, einem Becher Wasser, mehreren Decken und Kissen – allesamt violett, vom wohl tiefsten Violett, das sie finden konnten, und der abscheuliche Geruch verriet ihr, dass alles frisch gestrichen war. Die Fenster waren mit Riegeln und violettem Glas versehen und auf der Außenseite mit violettem Stoff verhängt. Anscheinend nahmen sie Karris’ Wandeln ernst, und weil sie sich ihre Augen angesehen und ihre Handfackeln gefunden hatten, wussten sie, dass sie Grün und Rot wandelte.
Es war eine seltsame Freundlichkeit. Sie hätten ihr natürlich einfach die Augen verbinden können, aber Augenbinden verrutschten. Doch die meisten Gefangenenwärter hätten den Wagen schwarz gestrichen und sie in Dunkelheit leben lassen. Dies war genauso effektiv, bedeutete jedoch erheblich mehr Arbeit. Wenn eine Wandlerin ihre Farbe nicht sehen konnte oder weder ihre Linsen noch weißes Licht hatte, konnte sie nicht wandeln. Karris war so hilflos, wie sie nur sein konnte. Sie hasste das Gefühl mit Leidenschaft.
Sie streifte das Unterhemd und das formlose violette Kleid über und kratzte sofort an der Farbe. Sie war von einem Infrarotwandler mit Hitze getrocknet worden. Karris würde irgendwann in der Lage sein, sie abzuschaben, aber da das einzige Licht durch violette Vorhänge und violettes Glas kam, würde es ohnehin keine Rolle spielen. Trotzdem versuchte sie es. Sie konnte einfach nicht anders. Unter der Schicht aus violetter Farbe war eine Schicht schwarzer Farbe. Darunter war das Holz dunkles Mahagoni. Kein Glück.
Binnen Minuten rollte der Wagen los.
Nachdem man ihr an diesem Abend ein Stück Schwarzbrot und Wasser in einer geschwärzten Eisentasse gegeben hatte, kamen zwei Wandlerinnen herein, die Haut bereits voll von rotem beziehungsweise blauem Luxin. Hinter ihnen folgte ausgerechnet eine Schneiderin. Sie war eine winzige Frau, die Karris kaum bis zu den Schultern reichte. Sie nahm schnell Karris’ Maße und machte sich keine Notizen, sondern prägte sie sich einfach ein. Dann starrte sie Karris’ Körper lange Zeit an und musterte sie, wie ein Bauer einen steinigen Hang musterte, den er pflügen musste. Sie überprüfte noch einmal die Maße von Karris’ Hüften, dann verließ sie ohne ein Wort den Wagen.
Während der nächsten fünf Tage erfuhr Karris nur wenig. Anscheinend war ihr Wagen in der Nähe der Küchenwagen, denn alles, was sie den ganzen Tag über hörte, war das Klappern von Töpfen bei jeder Unebenheit in der Straße. Die schattenhaften Gestalten von
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